MICHAEL KIRMES-SEITZ PUBLIKATIONEN

PUBLIKATION CU-OFFICE, BEIJING, VR CHINA

DIE BIOGRAPHIE ÜBER ZHANG LIGUO, EINEN DER BEGRÜNDER DER KLASSISCHEN MODERNEN MALEREI IN CHINA UND EHEM. PROF.FÜR MALEREI DER TSINGHUA-UNIVERSITÄT IN BEIJING

AKTUELLES PROJEKT:

KÜNSTLEREI HH“ St. Georg mit Astrid Bransky, Michael Kirmes-Seitz, MOSH, Brooklyn-Artist, Rainer Wieczorek Berlin u.a. – Bibliophile Hefte mit Grafik, Digital-Art sowie Lyrik, Poesie und Kurzprosa unter dem Motto: „Oberwasser mit Tiefgang“.

Michael Kirmes-Seitz:
MÖVENSNAK

 Das Meer scheint ruhig zu sein: Ein Einhandsegler möchte es auf einem Wasserball
stehend überqueren. Alle warten gespannt auf das Signal der Fischbuden-verkäuferin. Es locken Ruhm, Reichtum und die schönen Augen einer silberglänzenden Nixe. Eine knorrige Büste im Nadelstreifen bietet den Schaulustigen Tickets zum Kauf an. Möwen umkreisen argwöhnisch das runde Luftkissen auf der Suche nach fischiger Beute. Mut allein genügt nicht. Was zählt, ist das Glück des Tüchtigen. Überall versperren schwere Lasten den Wasserweg. Container reißen ihre Mäuler auf. Verstecken sich die Götter in den Wolken oder ist es Kohlenmonoxyd? Auf den Fundamenten der Sandburgen bauen Kinderhände Abschussrampen für Blitzlichter. Mit verbundenen Augen ist der Lotse auf Hinweise angewiesen. Alles klingt glaubhaft. Von Welle zu Welle verändert sich die Strömung. Kapitäne verlangen eine Erklärung. Dem Steuermann winkt eine Beförderung; seinen Worten ist nichts zu entnehmen; seine Bewegungen unterstreichen Ungesagtes. Die Schauerleute haben sich festlich gekleidet. Geduldig warten sie in langer Reihe auf den Beginn des Spektakels. Im Alltag hütet der Einhandabenteurer eine Herde von Fischen im Schafspelz oder sind es Kraken in Wolfsgewand? Es werden Wetten darüber abgeschlossen, ob er es schaffen wird oder nicht und am Tresen der Haifischbar werden hohe Summen gesetzt. Wenn es dem Rollmops gelingt, über das gespannte Seil am Fischmarkt zu balancieren, ist die Sensation perfekt. Die Würfel entscheiden über die Route der Schiffe, bevor sie von den Möwen auf die Reise geschickt werden. Die Passagiere müssen sich nur ängstigen, wenn die Windlichter vom Sturm ausgelöscht werden. Nichts berühren, nichts fürchten, nichts ausschließen: die Weissagung des Hafenmeisters will recht behalten und das Nebelhorn antwortet auf ein Keuchen aus der Kajüte des Kapitäns.
Lao-Tse sagt: „Es ist schön, das Ziel der Reise nicht zu kennen, aber noch schöner ist es den Hafen zu vergessen, von dem man aufgebrochen ist.

DER „WUNDERDOKTOR“ VON MANHATTAN

Aus dem Leben des jüdischen Universalgenies Max Wolf.

MAX WOLF war Pionier der Enzymforschung, der Endokrinologie, Vertragsarzt der Metropolitan Opera unter Otto Kahn und entwickelte zusammen mit der Pharmazeutin Dr. Benitez das Medikament "Wobenzym".
Buchausgabe, erschienen 2017 bei Polenz Publishers Dresden (vergriffen) Hörbuchausgabe, erschienen 2019, als Produktion des Siesta Writers Clubs Ibiza, weitere Infos über http://www.kirmes-seitz.de
MICHAEL KIRMES-SEITZ, der viele Jahre als Geschäftsführender Gesellschafter die Kulturagentur "New Trend GmbH" in Frankfurt leitet, ist u.a. auch Herausgeber von "Nicht müde werden!", einer bis 2006 unveröffentlichen Sammlung von philosophischen, literarischen und musikalischen Widmungen der Geistesgrößen der Romantik von Heinrich Heine bis Robert Schumann. Auch als Dichter hat er sich einen Namen gemacht und erhält 1971 den ersten Preis im Frankfurter Lyrikwettbewerb der Zeitschrift "Metall" für das beste zeitkritische Gedicht und weitere Anerkennungen für seine literarische Arbeit.
ASTRID BRANSKY gründet im Jahr 2001 die Kleinkunstbühne und das politische Kaberett "SinnFlut" Weimar und ist viele Jahre als innovative Hinterglasmalerin, Grafikerin, Kabarettistin und Bühnenbildnerin tätig.
Die Biografie ist unter Berücksichtigung der persönlichen Aufzeichnungen von Max Wolf entstanden.
Die Biografie ist gleichzeitig auch ein Auszug aus der Kulturgeschichte der Vereinigten Staaten im Verlauf der 20er bis 40er Jahre. Der inhaltliche Bogen in die Gegenwart wird geschlagen durch das als episches Gedicht gestaltete Nachwort von Michael Kirmes-Seitz: "New York im Gegenlicht", dessen Text im Hörbuch von Astrid Bransky gesprochen wird.
Autorenlesung im EUROPA-Haus in Klagenfurt am Wörthersee im Oktober 2018
HÖRBUCH, Sprecher: Astrid Bransky, Michael Kirmes-Seitz und
Dr. med. Klaus Diller (Nachwort), Epilog: Michael Kirmes-Seitz
„NEW YORK IM GEGENLICHT“, gesprochen von Astrid Bransky

R E Z E N S I O N : DR. SABINE JUNG, Museumsdirektorin i.R.
So viele Superlative lassen aufhorchen. Eine Pionierleistung in der medizinischen Enzymforschung ist das Medikament „Wobenzym“, international ein Begriff und hilfreich. Dass dies das Produkt des Enzymforschers und sozial-denkenden Genies Max Wolf ist, erfährt man auf unterhaltsame und anregende Weise durch den Autor Michael Kirmes-Seitz; Astrid Bransky, Gestaltung und nicht zuletzt durch das Nachwort des Arztes, Dr. med. Klaus Diller. Beinahe der Vergessenheit anheim gefallen wären die Verdienste und das spektakuläre Leben des jüdischen Universalgenies und Pionier der Enzymforschung Max Wolf samt seiner Prominenten-Kartei, einem „Who’s Who“ der US-amerikanischen Gesellschaft. Michael Kirmes-Seitz, der 2017 verstorbenen Witwe sowie deren Partner Hermann Klein fällt das Verdienst zu, das im buchstäblich letzten Augenblick verhindert zu haben. Eine glückliche Fügung. Man erfährt etwas zu den Eckdaten und Ereignissen des Prof. Dr. mult. Dr.-Ing. Max Wolf (1885-1976), Sohn des Kaufmanns David Wolf und seiner Frau Kunigunde, geb. Sommer, die bereits Arztsippen entstammen. Seine Patienten-Kartei und sein Bekanntenkreis lesen sich wie das „Who’s Who“ jener Zeit in den USA darunter Filmproduzenten, Banker, Erfolgsarchitekten und Ingenieure, Konzernchefs und -erben, Tycoone der Wallstreet und deren Goettergattinnen, Hollywoodstars wie Marlene Dietrich, Marylin Monroe, Gloria Swanson, Isidora Duncan, Olivia de Havilland, Bette Davis, Greta Garbo, aber auch Clark Gable, Spencer Tracy, Playboys und deren Opfer, Staranwälte und Operndiven. Man erfährt Namen und bekommt deren Leiden skizziert, derentwegen sie Max Wolf aufsuchten, sich nur von ihm behandeln lassen wollten, ihm ihre Sorgen anvertrauten. Herbeigerufen u.a. an die MET (Metropolitan Opera) und schließlich deren langjähriger Vertragsarzt, kuriert er immer wieder Leiden – und nicht nur die der Stimmen.
Und auf Vimeo.com sowie Ausschnitte auf Instagram unter #siestawritersclub oder #michael_kirmes_seitz

Szene aus dem Loriot-Programm des „Kabarett SinnFlut“ Weimar
mit Astrid Bransky und Michael Kirmes-Seitz

Gedichtband, erschienen 1980

Sechs Digital-Grafiken von Michael Kirmes-Seitz
PRISMENSUCHER
  Durch den Boden senkrecht einen Blick werfen auf die andere Seite. Das Meer soll hier nicht so salzig sein mit transparenten Flügeln und Wesen aus einer fremden Welt. Vögel mit Bärten, die viele Sprachen sprechen und sich nicht dreinreden lassen. Keine Wellenwarnung vor Seelenverkäufern, sondern vor gierigen Wasserjägern und Fischräubern. Es ist nicht damit getan, das Ohr auf die Schiene zu legen, um das Herannahen des Wasserberges vorauszuahnen. Eine Stadt mittlerer Größe gleitet vorbei. welche die Seefahrer in Sicherheit wiegt. Die Leuchtbojen veranstalten ein Picketing auf den Schaumkronen aus Empörung über die Eitelkeit der Kapitäne, denen es gleichgültig ist, dass das Meer in seiner Unschuld immer die Falschen bestraft. Ein Stück rostiges Eisen aus dem Bug eines Schiffes geschnitten, getauft auf den Namen “Spider”, nicht schnell genug, um den Gefahren des „Cabo de la Arac…“ zu entkommen, weit weg als Beute aufgebracht und an einer Betonwand angelandet. Die Metallsprossen führen direkt zu Traversen an denen die Erinnerung fest gemacht hat.
Der Tag spielt auf mit einhundert Dezibel für die Parade der Durchreisenden. Es lebe das Freiheitsfieber der Harlekinade, die sich unbeschwert auf ihre Weise Luft macht in einem Defilee der Nimmermüden. Sprechblasen skandieren: Bao! Zapp! Pow! Wow! Wie ein Gitarrenriff auf das Moment der Scheiterns.Die Relais nehmen Fahrt auf, ziehen die Wurzel aus dem Unbekannten, das in den unterirdischen Zisternen mit laufenden Motoren aus seinen Auftritt lauert. Nimmergrün soweit das Auge reicht. Azur bis in die Bergspitzen, Hügel ineinander verkeilt, Tiefebenen ineinander verfugt zu Teppichen auf denen jeder falsche Schritt genügt, um die Unvernunft an ihrer schwächsten Stelle zu treffen. In einem offenen Käfig werden Kassiber deponiert, welche die Möwen in alle Himmelsrichtungen davontragen und Geheimnisse auffliegen lassen als Echo auf eingefahrene Wege die ihr Ziel leugnen. Gebäude wie verschachtelte Türme an die Hügel gepresst. Hier lernen die Häuser den aufrechten Gang, unter Bäumen hinweg, um der Schwerkraft ein Schnippchen zu schlagen. Alle Treppen scheinen direkt in die Wolken zu führen zu einem Präludium der Windorgel. Unter Blättern versteckt sich der Tau immer auf der Suche nach neuen Fluren. Die See hat den Strand gefüllt wie die Schalen der grünlippigen Muscheln. Auf einem fliegenden Wellenteppich schwebt Kinderlachen über die Gischt. Kräftemessen mit der Leichtigkeit. Gegen den Wind zu stürmen, bleibt Sache der Brandung. Das Lachen klingt nach Freudentränen, nach Liedern, die von weit her herüber wehen. Marionetten tanzen über das Pflaster und locken mit karibischen Nächten, weil der Minister den Bürgermeister einen Clown genannt hat. Der Holzvogel lässt sich von dem vorbeistreunenden Magier nicht aus der Ruhe bringen, obwohl goldene Sterne auf seinem Zylinder blitzen. Auf elektronischen Karten werden Selbstgespräche geführt. Ungefragt vernetzen sich Silben zu unvollständigen Sätzen, während die Augen an eine matte Scheibe gekettet sind. Ein Kunstfälscher bietet schwarze Blumen feil. Zur Feier des Tages liest die Weinhändlerin den Gästen die Zukunft aus einem perlenden Sektkelch. Seitdem der Wirt das Zeitliche gesegnet hat, klingelt die Kasse ohne Rücksicht auf Verluste.
 Einen Abflug wagen. Nach Brooklyn ist es nicht weit, die Feuerleitern klettern über Etagen. Bob ist nicht John; Bob riskiert Kopf und Kragen. John hat ein Ohr für die Geldbeutel seiner jungen Kundinnen, die ihm jedes seiner Worte von den Lippen ablesen, die er aus Tarotbildern und Zaubersteinen liest seit ein paar Jahren schon. Bob jongliert mit schweren Messern und einem Herzen aus Stahl seit fünfundzwanzig Jahren „On the road“ für ein paar Scheine ohne sich den Hals zu brechen. John ist nicht Bob; Weissagen im Lotussitz auf „Nummer sicher“ gehen, gute Einsichten voraussagen für Gesundheit, Geld und wahre Liebe: Nein, natürlich keinen wie Bob, aber auch keinen wie John. „Ich möchte, ich wünsche, du kannst, du tust!” Der Abzählreim des Zweifels. Auf Bob wartet keine in glänzend blauem Kleid und auf John keine afroamerikanische Tänzerin, die ihn zwei Häupter überragt. Auf Bob wartet der Tag; an dem Beine und Arme müde werden oder ihn die Schwerkraft besiegt. John kann steinalt werden mit großen Versprechungen für ein kleines Glück. Wanderung durch flaches Gewässer, keine Spuren, die bleiben, behutsam Schritt für Schritt gehen, um Vermutungen auszuweichen die heran gespült und vom Sog wieder mitgerissen werden. Das Aussehen verändert sich, um rätselhaft zu erscheinen; den Maßstab finden für die Dinge, die unvergleichlich sind und das Unfassbare dem Zufall überlassen. Stein des Weisen, dessen scharfes Profil sich in den Felsen geschnitten hat und dessen Botschaft lautet: Dem Winter werde den Meeren Sand in die Augen streuen und im Sommer mit sprühendem Funkeln blenden. Wettlauf in der Spur der Eisenmänner bis an die Willensgrenze zwei Kilometer durch das Wasser, neunzig Kilometer auf dem Endlosband und mehr als zwanzig Kilometer weit einen Fuß vor den anderen setzen. An Stöcken über das Meer laufen oder geduckt auf die Brandung lauern und dem Strand entgegen fliegen. Über Köpfen surfen die Luftakrobaten, die den Wolken einen Strich durch die Rechnung machen möchten. Nebelberge, verführerisch vergänglich, aber voller Zorn. Vom Land her reihen sich Würfel an Würfel, in den Bergen ducken sich die Dächer. Für die Fährleute, die mit ihren Booten vor der Küste kreuzen, bedeutet es mit dem Ankerwurf, Abschied zu nehmen. Ein Haus, in dem nur der Wind wohnt, das seine Wände in hölzerne Falten gelegt hat, um in seiner Schwermut Nachricht zu geben von seiner Geschichte und den Bewohnern, die nichts als Leere zurückgelassen haben.
Ein Gebäude, das hin- und hergerissen ist zwischen Werden und Vergehen wie das Meer, auf das seine Fenster schauen. Jetzt, wo die Sonne am höchsten steht, malt der Sand seine Fantasien für ein neues Inneres auf das alternde Äußere.

UNSTERBLICH, ABER UNWAHR.
Die Unsterblichkeit ist dort zu Hause, wo die armen Hunde begraben liegen. Ihre Monumente haben sich selbst zerstört , weil die Welt sonst nur noch aus Steinen bestünde. Um sie zu ehren sollen jetzt schnelle Züge durch ihre müden Seelen fahren, die ihnen letztes Geleit versprechen. Wählen, um keine Wahl zu lassen, wählen lassen, weil sonst niemand mehr da ist, den es treffen könnte, diejenigen auswählen, die sich mit beiden Händen gegen den Fluss stemmen, der kein Bett bietet und die Halt suchen angesichts des immer greller Scheinenden. Auf dem Postweg erfolgt die Unterzeichnung des offenen Geheimnisses, frankiert mit dem Stempel der Pseudodemokratie. Nicht wählen , weil es um die Qual der Wahl geht. An der Stelle der Wertmarke steht das Zentralregister. Die große Täuschung als vermeintliche Auswahl der Steigbügelhalter, die entscheiden wollen, auf wen das Los fällt. Das neue Siegel des Freibriefes entlarvt die leeren Hüllen. Es soll auf jeder Stirn zu lesen sein, weil es auf jede Stimme ankommt, auf jeden, der nicht so leicht zu fassen ist und dem Zeitgeist alle Freizügigkeiten heimzahlen. Die Kopisten der Falschmünzer glätten damals wie heute mit Bedacht die Falten einer Schleife vor der Schandmauer und schleifen mit einer hölzernen Pirouette den Kranz der Entmündigten unter dem Jubel unzähliger Münder über den glühenden Stein, wobei sie ihre Gier auf der verzinkten Scheibe des Chemigrafen fixieren lassen. Ihr Abbild will nieder knien vor den üppig wuchernden Hopfenranken des Oktoberaltars als Ausdruck ihrer Gelüste und Hinterlassenschaft eines bräunlich schimmernden Belages. Das Logo der Pseudodemokratie als Wink des Himmels, weil sich die Schatten nicht mehr von den gekalkten Wänden trennen lassen. Solange kein Ende abzusehen ist, regiert das Nichts mit aller Unvernunft. Den Schein wahren heißt, sich an etwas schwer zu fassendem festklammern, welches das Gegenfeuer verlöschen lassen soll.
Den Stempel des Holzauges allem aufdrücken, was die Seele brennen lässt und auf den Widerhall vertraut. Was gut ist für die Fische, soll auch den Menschen im Falle eines Falles antibiotisch helfen, damit sie es sich ebenfalls in den Käfigen gemütlich machen können. Das Futter soll im Ernstfall Rettung bringen gegen Bakterien und böse Geister. Die Symptome häufen sich. Alles scheint nur eine Frage der Dosierung zu sein. Am Ende die ganze Welt nur noch aus Versuchsanordnungen. Es heißt, sich gesund zu sparen, wenn das Geld ausgeht und weil jeder weiß, dass der gute Wille allein nicht ausreicht, nichts bewegt, aber keiner sich traut, es zuzugeben. Irgendwann ist jeder froh, dass es Maschinen gibt, die den Menschen die Arbeit abnehmen, und man dann immer sagen kann auch Maschinen können sich irren. Einer silbernen Spur folgen. Auf Tischen ausgebreitet, liegen noch ein paar Staubkörner von der letzten Ernte. Durch die Schale dringt kein Laut mehr nach draußen. Ob es auch die Fruchtfliege trifft oder sich der Verdacht in den Blättern der roten Nelke verbirgt, bleibt vorerst ein Geheimnis. Stanzten früher die Lochstreifen alle verdächtigen Merkmale in das Leporello aus Pappe, so ist heute Schweigen die größte Gefahr.

ZWISCHENSTOP
Die Fensterscheiben sind blau getönt. Durch die Wolken erscheinen Häuser. Draußen fegt eine neue Welt vorbei. Drinnen ist alles aus holzimmitiertem Blech. Schläge, Schütteln, Schaukeln. Der Vordermann hat seinen Blick fest auf ein Glas Martini geheftet, seine schuppige Nachbarin bewundert seine Hand. Die Bedienung bewahrt Haltung. Hinter einem Vorhang werden alle Register gezogen. Diverse Gefühle lassen sich auf Knopfdruck zufriedenstellen, Kälte, Hunger, Schwindel. Irgendwo passiert ständig etwas. Anderswo bleibt die Zeit stehen. Von Kolonnen rechts und links eskortiert, belauern sich Augenblicke. Der Magen mixt eine Bowle aus Bier, Milchkaffee, Erdnüssen und Minze. Am Straßenrand tanzen Plakate für Fett und Zucker, Zitronensäure und Seltzerwasser. Welchen Grad von Gefährdung erreichen wir durch eine gezielte Kopfarbeit. Wie kann man sich vor den Folgen schützen. Wir schneiden ein Loch in die Atmosphäre. Der Weg ins Jenseits führt über eine Trittleiter. Haben Sie etwas zu verzollen: Ein Stück Gewissen vielleicht, ein Bündel Gerüchte oder eine Ladung blanken Hohn.

STOPOVER
The window panes are tinted blue. Houses appear through the clouds. Outside, a new world sweeps by. Inside, everything is made of wood-imitated sheet metal. Banging, shaking, rocking. The man in front has his eyes fixed on a glass of Martini, his scaly neighbor admires his hand. The waitress keeps her composure. Behind a curtain, all the stops are pulled out. Various feelings can be satisfied at the push of a button cold, hunger, dizziness. Somewhere, something is always happening. Elsewhere, time stands still. Escorted by columns to the right and left, moments stare at each other. The stomach mixes a punch bowl of beer, latte, peanuts and mint. Posters for fat and sugar, citric acid and and sugar, citric acid and Seltzer water. What level of exposure do we achieve by a purposeful head work. How to protect ourselves from the consequences. We cut a hole in the atmosphere. The way to the afterlife is via a stepladder. Do you have something to declare: A piece of conscience, perhaps, a bundle of rumors or a load of sheer mockery.

Copyright by Michael Kirmes-Seitz

GEMEINSCHAFTSAUSSTELLUNG „KUNSTSTÜCKE OHNE VERFALLSDATUM“ Hildegard und Otto Dressler sowie 25 Textbilder von Michael Kirmes-Seitz in der Galerie Rodolfo Berlin-Mitte 2006

„AUS DEM RUDER“, Gedicht mit Digital-Art-Illustrationen von Michael Kirmes-Seitz

NEW YORK IM GEGENLICHT
Die Verbindung zwischen Erde und Himmel verläuft hinter den Wolken. Den Weg dorthin markieren mächtige Pfeiler aus Licht und Schatten. Bisher haben alle Stationen den vorbeirasenden Kometen ihre Ergebenheit signalisiert, damit sie rechtzeitig ihre Route ändern. Geheime Rechner suchen immer noch fieberhaft nach einer Lösung zwischen Zauber und Ironie. Es hilft ihnen nichts zu wissen, dass mit einem Schlag alles vorbei sein kann. Obsessionen bevölkern die stets sternenlose Nacht und geben unbekannten Himmelskörpern Gelegenheit zu funkelnden Kapriolen. Auch wenn ihnen ihre Batterien am Ende wenig nützen, so sollen ihre Leistungen doch anerkannt werden.
Das Bedienungspersonal verteilt mit einem freundlichen Lächeln Gutscheine, wahlweise für ein Glas Champagner oder eine kostenlose Nachricht im Abendprogramm des Fernsehens.
Träume erwachen in einer neuen Welt voller Widersprüche. Der hoffnungsvolle Blick in einen abgedunkelten Raum fördert stapelweise Unfassbares zu Tage. Tänzer drehen sich auf ihren Scheiteln um die eigene Achse als Teile eines unsichtbaren Räderwerks, angetrieben vom trägen Sommerwind. Ihrem Wunsch, die Schwerelosigkeit zu überwinden, ist jedes Mittel recht. Sie fänden Gefallen an dem Gedanken, sich eines Tages vorübergehend vor den Augen der Passanten in Luft aufzulösen.
Die Hoffnung auf Besserung der Beziehungen zwischen innen und außen hat sich nicht bewahrheitet, statt dessen werden die Fluchtmöglichkeiten immer zahlreicher.
Ein Tagelöhner tarnt seine Narben notdürftig mit einem Schal aus greller Kunstseide.
Ein Mann mit den vielen Gesichtern setzt einem Herrn mit Maske die Dornenkrone auf und träumt laut von der Fahrt mit der Untergrundbahn in den Armen einer dunkelhäutigen Schönheit. Der Zugführer verändert ständig sein Aussehen, damit die geplante Entdeckungsreise kein Ende findet. Die Fahrgäste reagieren schweigend. Weil die Zahl der Neugierigen größer wird, müssen die Rolltreppen ihre Fahrt beschleunigen.
Ein Maler stürzt sich verzweifelt in seine Staffelei und erwacht in den Armen
eines Kaufhausdetektivs. Seine menschenleeren Bilder wollen Ruhe ausstrahlen.
Der Schauspieler begründet seinen Auftritt mit dem vergeblichen Bemühen
der Souffleuse, auf sich aufmerksam zu machen. Die Kritiker sind machtlos,
denn der Vorhang fällt noch bevor die Zuschauer Platz genommen haben.
Unter Skeptikern herrscht eine gewisse Ratlosigkeit. Sie haben ihre Zwischenrufe eingestellt und verharren regungslos, weil sie sich von den Ereignissen überrollt fühlen.
Nach Überwindung der ersten hundert Meter ist für die Baumeister alles relativ einfach.
Wenn die Worte verstummen, kommen die Zeichen zu Wort und übermalen mit ein paar Strichen die Graffity der Sprache. Fremde Laute sind für sie kein Grund zur Beunruhigung.
Ein Schnitt durch die Serpentinen des Schneckenhauses schafft Raum für Unvergängliches und dreht sich als kühne These zu einer Lichtspirale.
Der Taxifahrer transportiert neben drei Passagieren auch noch vierzehn Eimer mit Farbe, eine nagelneue Kabelrolle, Teile eines Wagenhebers und einen Baseballschläger, mit der Aufschrift „In God we trust“. Die Straße lässt augenscheinlich keine Hindernisse erkennen. Ihre Schläge sollen die Fortschrittsgläubigen unvorbereitet treffen.
Fernlaster fräsen tiefe Gräben in die Asphaltpiste, während unter dem Asphalt schwere Motoren mit lautem Gebrüll ein Erdbeben nach dem anderen simulieren.
Jenseits der Hölle gibt ein Geiger die kleine Nachtmusik zum besten; das Orchester ist in einen winzigen Kasten eingepfercht. Obwohl die Violine viel gesehen hat, will sie ihre Herkunft nicht preisgeben, sie will aber auch nicht anonym bleiben. Um Mitleid wird in barer Münze gebeten. Auf geometrischen Linien bewegt sich ein Netzwerk scheinbar ruheloser Akteure, Kreuze funkeln durch die vergilbten Fensterspalten des dahintreibenden Eisenbergs. Der diensthabende Lotse hat sich mit einer grünen Perücke getarnt.
Die herrenlosen Hunde wollen ab sofort aus ihren Fehlern lernen. Sie werden die Brücken nur noch dann überqueren, wenn ihnen der Bürgermeister freies Geleit verspricht. Die Türsteher haben ihre Hände in den Taschen vergraben, mit ausdrucksloser Miene warten sie geduldig auf Unverkäufliches. Die fragilen Eisentreppen legen Wert auf die Feststellung, dass man ihre Warnungen in den Wind geschlagen hat. Der Sheriff hoch zu Roß sucht händeringend nach Zeugen. Seine Blicke kreuzen sich mit denen einer unbekannten Schönen im Rückspiegel ihres Sportwagens. Verunsichert suchen seine Finger nach einem imaginären Saum, bis seine Hand in das leere Halfter greift.
Stolz lächelnd präsentiert sich ein junges Paar mit seinem Säugling vor dem Fernsehschirm und wartet auf das große Los. Hinter den Stranddünen wird das Wasser in großen Holzfässern gesammelt. Das Blau des Himmels ist makellos und ohne störende Streifen. Die Sonne schickt ihre Strahlen aus Glasröhren und ein Generator dreht den Planeten um seine Achse. Unter den Schaulustigen geht die Botschaft um, dass prominente Persönlichkeiten von unbekannten Spendern kein Geld annehmen dürfen und lieber den Alten über die Straße helfen sollen.
Ein Vorgesetzter lässt sich zu einer Bediensteten herab. Seine Mitarbeiter verteilen Gegendarstellungen und laden zu einer glücklichen Stunde ein. Unzählige Herzen in allen Farben und Größen schlagen und zucken um die Wette. Zehntausende von Buddhas lächeln milde oder entrückt. Stadtviertel voll Madonnen mit pausbäckigen Säuglingen auf dem Arm, sind angetreten, um das Böse dieser Welt einfach weg zu lächeln.
Der große Durchbruch lockt mit Versuchungen. Wer nach ganz oben will,
hat keine Zeit für Emotionen. Aber eine halbe Liebe ist besser als keine.

Michael Kirmes-Seitz, New York 1995

NEW YORK AGAINST THE LIGHT
The connection between the sky and the earth is behind the clouds. The way there is marked by
giant pillars created by light and shadow. Up to now all stations have signalled their devotion
to passing comets so these change their direction in time. Secret computers are still
searching feverishly for a solution between magic and irony. It does not help that they know
that everything could be over in no time. Obsessions crowd the always starless night and give
nameless stars the opportunity to shining capers. Even if their batteries will be of no use
in the end, their achievements should be honoured. With a friendly smile the staff distributes vouchers, either for a glass of champagne or a free message on TV’s evening program.
The dreams awake in a new world full of contradictions. The hopeful look into a darkened room brings mountains of inconceivable things to light. The dancers turn on their hairlines
around their axis as parts of an invisible mechanism set in motion by the lazy summer wind.
They wish to conquer gravity by any means. The thought of vanishing into thin air
temporarily in front of passers by is appealing. The hope for improvement of the relations between the inside and the outside has not come true, instead the possibilities of escape
are multiplying. A day-labourer barely disguises his scares with the help of a loud scarf made of synthetic silk. A man with many faces puts a thorn crown on a masked gentleman
and dreams aloud of a trip on the subway in the arms of a dark-skinned beauty. The train driver keeps changing his appearance so that the journey of discovery never needs to end.
The passengers react silently. As the number of curious bystanders grows, the escalators have to increase their speed. A painter desperately plunges into his easel and awakes in the arms
of a department store detective. His deserted painting are supposed to convey peacefulness.
The actor bases his appearance on the futile efforts of the female prompter to get attention.
The critics are powerless because the curtain falls even before the spectators have taken
their seats. Among the sceptics there is a certain bafflement. They have stopped their outcries
and remain motionless, as they feel overpowered by the events. After overcoming the first hundred meters everything is relatively easy for the builders. When words fall silent
the signs come and paint the Graffity of speech over with a few strokes. For them alien sounds
are no cause for concern. A cut through the helix of the snail house creates space for immortality and turns as a daring thesis into a spiral of light. Apart from three passengers
the taxi driver also carries fourteen buckets with paint, a brand new roll of cable, parts of a jack and a baseball bat with the inscription “ In God we trust “. The road appears to reveal No hindrances. The thumps are supposed to hit those who believe in progress without warning.
Long distance lorries cut deep grooves into the asphalt, while under it heavy motors simulate
one earthquake after the other with a loud roar. Beyond the hell a fiddler is performing
Mozart’s Eine kleine Nachtmusik. The orchestra is cooped up in a small box. In spite of having seen much the violin won’t reveal its origin, but it doesn’t want to stay anonymous either. One begs for compassion for cash. A web of seemingly restless actors is moving on geometric lines,
crosses sparkle trough cracks in the drifting iceberg’s windows turned yellow The pilot on duty carries green wig as disguise. The stray dogs wish to learn from their mistakes from now on.
They will only cross bridges if the mayor promises an escort. The ushers have dug their hands
into their pockets; without expression they are waiting patiently for things which cannot be sold. The fragile iron stairs value the statement that their warnings have not been listened to.
The sheriff high up on his horse is desperately looking for witnesses. His looks cross the ones
of an unknown beauty in the back mirror of her sports car. His fingers are searching uncertainly for an imaginary seam until his hand seizes the empty holster. Smiling proudly a young couple present themselves with their baby in front of the television screen waiting for the big prize. Behind the sandy dunes the water is collected in big wooden caskets The blue sky
is without blemish and disturbing stripes. The sun sends its rays from glass tubes and a generator turns the planet around its axis. Among the curious the message is circulating
that famous personalities should not accept money from unknown donors, but that they should better help old people across the street. A superior condescends to a female servant.
His colleagues distribute counterstatements and invite to a happy hour. Countless hearts in all colours and sizes beat and twitch vying with each other. Ten thousands of buddhas smile mildly or removed. Neighbourhoods full of madonnas with chubby-cheeked babies on their arms have come to smile away the evil of this world. The great break-through entices with temptations. Anyone who wants to get to the top has no time for emotions.
But half a love is better than none.

Michael Kirmes-Seitz, Übersetzung: Rika Humphries. „NEW YORK IM GEGENLICHT“ ist das Nachwort zur Biografie über Max Wolf und der Kulturgeschichte von New York und stellt die Verbindung dar zum New York von heute.

SHOWREEL

In Brooklyn kann die Suche nach einem Parkplatz zwischen den verwaschenen Häusern eine Ewigkeit dauern auch für Barry, den Entertainer und Susan die Dancing Queen. It´s a long way to O´Reilly´s Pub, wo heute der Punk abgeht mit Bary am Diaprojektor und Susan als Gogogirl; wenn die Lettern halten, was die Kreidetafel verspricht: von 8-10 pm Happyhour von 10-12 Bary and Susan. Erotic-Night im Williamsburgh District, ein Grund mehr sich den Abend schön zu saufen, mit Bary am Diaprojektor und Susan auf der Geldwaage. Schräge Bilder auf schrägen Bohlen für schräge Vögel. Zwei Drinks zum Preis von einem. Das kann ja heiter werden. Die eiserne Gondel lässt für alle Fälle schon mal die Ketten rasseln. Don´t Bogard that bottle my friend. Wird schwer werden, den Keeper zum Lsachern zu bringen. Wirf lieber nachher einen Blick auf die Beine von Susan und bewundere ihre getuschten Augen, die ins Leere lächeln. Susan in der Schwebe über der Bar in einer Gondel aus Palisander. Ein Tresensteher entblößt seine Tattoos. Männer unter sich. Am Ende war‘ s ja wieder ganz lustig in O´’Reilly´´´ s Pub.

Copyright by Michael Kirmes-Seitz

IN MEMORIAM: Dr. Eric Gross, Prof. für Komposition und Musik an der Universität von Sydney/Australien:

Tondichtung von Eric Gross zu dem Gedichtzyklus „SYDNEY SERENADE“ von Michael Kirmes-Seitz

(Blick aus der Wohnung von Eric Gross in Sydney)

ANKUFT UND WIEDERKEHR
 In memoriam Eric Gross
 
Musik, die bleibt
als Geschenke an ein Land
das Saiten auf neue Weise
klingen lässt.
frei sein, um freigiebig zu sein.
Die Himmelsorgel
welche die Wolken
zum Singen und
Sonnen zum Weinen bringt.
Ein letzter Blick
auf einen steilen Weg
Schiffssteg oder Lebensleiter
einen Hügel hinauf
dem sich die Stadt
zu Füßen legt als
musikalisches Morgengabe.
Der Verlust seines Lächeln
und sein wärmender Blick.

Auf der Netzhaut voller Sterne
schimmert Versöhnung
als Erinnerung an die Schicksale
verlorener Kinder
des letzten Eisenbahnzugs
ins Ungewisse
an der Welt verzweifelt
schutzlos preisgegeben
und verlassen.

Die schiere Not
verhüllt mit Beinröhren
aus gewellter Pappe
unter zerfasertem Tuch.
Unschuldige Gesichter
vom Elend gebleicht.
Mit dem Mut
der Nimmermüden
und nur geübt
in den Gesängen
der Entrechteten.
Auftakt und Widerhall
in achtundachtzig Tasten.
Erste Pennys für den „Tiger Rag“
dann Aufbruch zu
nie gehörten Klänge.
 
Wer alles verloren hat
und alles gibt für andere
wird vom Himmel
reich beschenkt.

Michael Kirmes-Seitz
Vier Digital-Art-Grafiken von Michael Kirmes-Seitz

I B I Z A V I S I O N
Man erkennt es schon von weitem, man sieht es auf den ersten Blick. An diesem Ort lassen sich tausend Jahremit Händen greifen. Es ist schwer vorstellbar, dass diese Insel vor etwas mehr als drei Jahrzehnten von ihren Bewohnern noch mit dem Eselskarren durchstreift wurde, und die Fahrt auf den Markt einer Tagesreise gleich kam. Der Ansturm des Meeres erfolgt während des Herbstes von allen Seiten; die Kathedrale ist nach der Heiligen Maria vom Schnee benannt, aber während des Sommers hat das Felsmassiv dessen Spitzen als Inseln der Pitiusen aus der Tiefe hervorragen, mehr zu bieten, als manche Träumer für möglich gehalten hätten.
Wer hierher kommt, fühlt sich fremd, weil die faszinierende Gestalt der Felsen den Atem stocken lässt, wenn diese sich für den Besucher zum ersten Mal aus dem Dunst herauslösen. Dann zeigt sich, wie gewaltig die Kräfte gewesen sein müssen, welche diese Gebirgsmassive aus dem Meeresboden ans Licht gesprengt haben. Ihre beeindruckende Schroffheit wetteifert mit den Sehnsüchten all derer, die aus den vier Himmelsrichtungen angeflogen kommen. Die Inselbewohner führten dieses atemberaubende Eindrücke auf die Schöpferkraft ihrer Göttin Tanit zurück. Heute wissen sie, dass sie der Schönheit ihrer Insel auch ein Stück ihres Wohlstandes zu verdanken haben. Vielleicht nehmen sie deshalb alles, was um sie herum vorgeht mit so großer Gelassenheit. Sie erinnern, dass das, was früher über das Wasser zu ihnen kam, meist mit Angst und Schrecken verbunden war. Der Gewalt entronnen hat die Suche nach dem einfachen Leben wieder neue Nahrung bekommen, denn die Alten wussten schon immer, dass der Mensch eigentlich nur wenige Dinge zum Leben braucht. Dazu gehörten stets Brot, Olivenöl, Wein und natürlich das Meer, das dafür sorgt, dass immer frischer Fisch und Salz in den Töpfen duftet. Es dauert Jahrzehnte bis man den Neuankömmlingen trauen darf, sagen sie. Wer kann schon in den Anderen hineinschauen dessen Sprache, Sitten und Tänze so anders sind. Der Blick zurück ohne Furcht hielt über die Zeit auch die alten Mythen und Bräuche am Le zuben, Wo sonst erzählen Felsen so mystische Geschichten. Sie können voller Einsichten sein, aber auch voller Widersprüche. So verführerisch weich die Wellen auch zu sein scheinen, so unbarmherzig schlagen sie alles in Stücke, was sich ihnen überlegen fühlt. Die Mächtigkeit der “Torres” zeugt noch heute davon wie groß der Ansturm gewesen sein muss. Und auch die Wehrkirchen warteten nicht auf ein mildes Urteil. Auch heute ist die Verlockung groß, einen steinernen Kokon zu weben, mit dem man sich im Schutz der Insel einspinnen kann. Die Wärme der Sonne, der Erde und des Wassers in sich aufzunehmen, um den Höhlen ihre Geheimnisse zu entwinden. Wo die Wellen hoch schlagen, liegt auch die Inspiration auf der Lauer, die darauf wartet, wie die Früchte des Meeres aus den Felsen gelesen zu werden, um dann mit ihren Bildern alles da gewesene zu überschreiten. Ausgerechnet die Jungen, denen scheinbar alle Wege offen stehen, handeln häufig aus der Furcht heraus, etwas zu versäumen. Nachtruhe ist Friedhofsruhe. Ununterbrochen feuern die Laserkanonen mit voller Leistung, bis die Ungeduld wortlos in den Kupferdrähten verglüht. Es ist Mode geworden, sich an der Unrast anderer schadlos zu halten. Vereinnahmen ohne zurückzugeben. Die Brautschau wird zelebriert: Zeig mir, was du hast, und ich zeige dir, was du dafür bekommst. Alles andere kann warten. Die Grazie der klaren Linien, kleine Schritte verbinden sich mit großen Sprüngen. Auch wenn es weh tut, aber ein Teil der Dinge wird verloren gehen und neue werden an ihre Stelle treten. Die Ungeduld der schnellen Abfolge von Bildern sucht nach immer neuen Ausdrucksformen. Aus Brunnen werden Kaskaden. Neben den weißen Würfeln entstehen Burgen des Wohlstands und Paläste der Kurzweil. Ein Teil der Poeten zieht sich in die Berge zurück in der Hoffnung auf die Begegnung mit neuen Erkenntnissen. Becher und Möbel werden nicht mehr vom Patron gefertigt. Auf den Märkten der Welt gibt es einfach zuviel Neues faszinierend Andersartiges. Das Fähnlein der Einfachheit wird überflügelt von den Trikoloren des Fortschritts. Ursprüngliches wird zur Kulisse, wenn der Zauber des Unbekannten immer größer wird. Der Widerstreit zwischen Mangel oder Bereicherung ist über all zu sehen und wird mit jedem Tag an Kontur gewinnen. Das Paradies wird zum Schmelztiegel. Glückssymbole sollen Hochgefühle auslösen. Die Annäherung erhält eine straffe Organisation im Minutentakt. Unverständliches bleibt Chiffre, verliert an Wert, löst sich auf wie die Nebel in den frühsommerlichen Tälern. Bäume als fremde Wesen. Die Nebengeräusche nehmen zu. Mit jedem Laut werden auch die Menschengruppen größer und bilden so eine neue Achse um die sich alles dreht. Das große Staunen beim Anblick eines Felsens der so kühn und unheimlich aus dem Meer ragt, dass es bei seiner Erschaffung nicht mit rechten Dingen zugegangen sein kann. Der erste Eindruck prägt jeder weitere Begegnung. Es werden Orakel befragt, Karten gelegt, Zirkel gefällt, weil der glühende Sonnenball zum Greifen nahe scheint, soll die Quadratur des Kreises Weltformel sein. Die einfachen Schlüsse können gutes Ende sein ür das märchenhafte der Wirklichkeit, felsgewordene Allegorie provozierend und unheimlich, damit an diesem paradiesischen Punkt der Erde alle törichten Wünsche immer wieder aufeinandertreffen. Wo die Welt am schönsten zu sein scheint, vermutet man keine Banditen. Die Ateliers der Illusionsmaler liegen versteckt hinter den Hütten der Fischer. Doch unverhofft öffnen sie ihre Türen in der Überzeugung, dass je größer die Begeisterung ist desto geringer die Niedertracht.
Jetzt heißt es mitsingen, ohne zu fragen, sich hinreisen und sich einfangen lassen im Unerfüllbaren. Gleich Derwischen tanzen Sehnsüchte um die Wette, versuchen gegenseitig iIhre Feuer zum Lodern zu bringen, um vielleicht mit einer Eingebung belohnt zu werden, womöglich aufzusteigen und anschließend erschöpft und erfüllt in sich selbst zu versinken. Der Himmel betet zu den Wolken, dass alles gut gehen möchte und die Planeten auf ihrer Bahn bleiben, weil es für das Chaos keine Erklärung gäbe. Damit nichts geschieht, was sich nicht wieder gut machen ließe.
Michael Kirmes-Seitz


DIE BAUERNFÄNGER VON IBIZA
Durch die Gastarbeiterpolitik der Bundesrepublik Deutschland in den 50er und 60er Jahren kommt das Nachkriegs-Westdeutschland in großen Teilen der Bevölkerung Spaniens zu großem gesellschaftlichen Ansehen. Die spanischen Arbeiter-Organisationen gründen in vielen deutschen Großstädten spanische Clubs, von denen heute nur noch wenige existieren. Auch der Kampf deutscher Kommunisten in der Internationalen Brigade der Linken während des Spanischen Bürgerkrieges ist noch in Erinnerung. Bei den Rechten der Partida Popular hat das Engagement der Nazis im Spanischen Bürgerkrieg auf andere Weise zum Ansehen Deutschlands beigetragen. Obwohl sich Franco weitgehend aus dem 2. Weltkrieg zum Ärger Hitlers heraushält, kämpfen Freiwillige der spanischen Rechten auf der Seite der deutschen Wehrmacht im „Rußland-Feldzug“, ohne ihre Heimat je wiederzusehen. Bei den ersten Begegnungen zwischen Deutschen und Spaniern hinter den Frontlinien ist den Wehrmachtssoldaten die Mentalität und Lebensfreude spanischen Freiwilligen zunächst fremd, auch wenn sie sich im Stillen dadurch angesprochen fühlen. Deutschland war und ist für viele Spanier, Linke wie Rechte, bis heute ein Vorbild. Die zahlungskräftigen Touristen aus Deutschland sind auch im 21. Jahrhundert willkommen, doch die ungenierte Landnahme deutscher Residenten auf den Balearen und die „Herrenmenschen-Allüren“ der Pauschaltouristen haben bei den Spaniern in den Urlaubsregionen und auf den Balearen zu einer gewissen Ernüchterung geführt. Viele deutsche Urlauber bemühen sich nicht, wenigstens auf Spanisch „einen guten Tag“ zu wünschen. Der Kellner wird auf Deutsch angesprochen. Was der stolze Spanier durchaus als beleidigend empfindet. Aber die Touristen sind der überheblichen Meinung, dass sie als Gäste verlangen können, dass sie auch in seiner Muttersprache verstanden werden. Denn, wenn sie schon ihr gutes Geld da lassen, können sie auch erwarten, dass die Kellner und das sonstige Personal wenigstens Deutsch sprechen. Viele Nach der Devise: Die wollen doch was von uns und nicht umgekehrt. Viele deutsche Residenten, die ihren Altersruhesitz nach Spanien – im Besonderen nach Mallorca verlegt haben und Eigentum erworben haben, lernen weder spanisch, noch mehr als das unmittelbare Umfeld ihrer Immobilie kennen. Es interessiert sie einfach nicht. Dadurch, dass die massiven gesellschaftlichen Verwerfungen des Spanischen Bürgerkrieges innerhalb der spanischen Gesellschaft und häufig selbst innerhalb der Familien bis heute nicht aufgearbeitet worden sind, hat sich an den Machtverhältnissen seit der Franco-Diktatur wenig geändert. Auch, wenn Juan Carlos durch Franco als Regent eingesetzt wird und gegen dessen Vorstellungen eine demokratische Regierungsform als institutionelle Monarchie ausruft, bleiben die alten Machtverhältnisse von Spanien unberührt, was u.a. auch auf den großen politischen und gesellschaftlichen Einfluss der Katholischen Kirche in Spanien zurückzuführen ist. Hierbei spielt der Orden „Don Bosco“ und auch der konspirativ operierende Laienorden „Opus Dei“ eine bedeutende Rolle. Kein hochrangiger Politiker der Partida Popular wird Minister oder gar Regierungschef ohne den Segen von Don Bosco. Dass Juan Carlos am Ende zugunsten seines Sohnes Felipe zurücktritt, zeigt letztendlich nur, dass er trotz seiner Verdienste um ein demokratisches Spanien am Ende seiner Regentschaft die Bodenhaftung verloren hat. Während der Vatikan im internationalen Fokus steht, hat die Katholische Kirche in Spanien ihrePosition systematisch ausgebaut. Nicht umsonst sind der Jesuiten-Orden und der Laienorden „Opus Dei“ in Spanien gegründet worden. So richten die Mitglieder der beinahe konspirativ agierenden Laienorganisation „Opus Dei“ ihr besonderes Augenmerk auf die vermögenden spanischen Familien und deren männliche Erben. Dabei verfolgen sie die Strategie, durch persönliche Freundschaften die Familien zu unterwandern, um so Einfluss auf den Lebensweg des Haupterben nehmen zu können und ihn gegebenenfalls auch dahingehend zu beeinflussen, sein Leben und vor allen Dingen auch sein Vermögen in den Dienst der Katholischen Kirche Spaniens zu stellen. Das monatliche Gehalt eines katholischen Priesters in Spanien beträgt ungefähr tausend Euro bei freier Kost und Logis. In den 50er und 60er Jahren werden viele Neugeborene in katholischen Kliniken systematisch ihren Müttern von katholischen Ordensfrauen unter einem Vorwand weggenommen. Die Schicksale der Neugeborenen verschwinden in den Akten der katholischen Ordens-Krankenhäuser. Die Vorkommnisse werden bis heute vertuscht. Viele Jungen werden während ihrer Ministrantenzeit von katholischen Priestern missbraucht. Dieser Sachverhalt hat beim bischöflichen Klerus erst im Jahr 2018 zu einer öffentlichen Entschuldigung geführt, vertuscht wird nach wie vor. In den 60er und 70er Jahren sind es zunächst die sog. Hippies aus den europäischen Metropolen und deren Umfeld, die sich aufgrund der von der amerikanischen Woodstock inspirierten vermeintlich friedfertigen Lebensphilosophie Enklaven suchen, in denen sie sich ihren Lebensunterhalt mit relativ geringem Aufwand mehr oder weniger erschnorren können. Die Balearen-inseln, am Rande des Mittelmeeres gelegen, sind leicht zu erreichendes Noch-Neuland und nicht alle Regionen für den Massentourismus profitabel genug, um zu größeren touristischen Attraktionen erweitert zu werden. Die Bevölkerung ist traditionell tolerant. Aufgrund der Insellage ist sie stets darauf angewiesen, sich mit den Eindringlingen von außen zu arrangieren, um ihr Überleben zu sichern. Für viele Hippies ist der Weg nach Indien weit, teuer und unbequem. Wer sich den Aufenthalt in noblen „Aschrams“ der indischen Star-Gurus zur Selbstfindung nicht leisten kann, hat in Ibiza und Formentera eine nahegelegene Alternative. Bis heute ist deshalb gerade die Esoterik als Lebensphilosophie auf den Pitiusen – wie Ibiza und Formentera auch genannt werden – sehr verbreitet. Während der langen Sommerferien verwandeln sich viele alleinstehende, berufstätige Frauen und karrierebewusste Männer in Hippies als Alternative zum Massentourismus. Das spricht sich seinerzeit sogar bis zur holländischen Fußballmannschaft um Johann Gruiff herum. Die Balearen sind für die Hippie-Aussteiger besonders attraktiv. Dazu gehört vor allen Dingen auch die „kleine Schwester“ der Insel Ibiza, nämlich das Inselchen Formentera, weil es dort keine Trinkwasserquellen gibt und nur Regenwasserzisternen oder aufwendige Entsalzungsanlagen benötigt werden. Deshalb ist Formentera für Massentourismus zunächst weniger geeignet. In der „Fonda Pepe“ in San Fernando ist es zu jener Zeit auch ganz schön und wildromantisch. Am Infobrett in der Kneipe kann manfür den längeren Aufenthalt ein altes, gebrauchtes Moped erstehen, das man bei der Abreise wieder verkauft. Heute wimmelt es nur so von Leihfahrrädern, -Motorrollern und -Autos. Der Fährverkehr beschränkt sich damals auf eine Schiffsverbindung mitder kleinen Fähre „Joven Dolores“, auf deren Deck gerade einmal zwei Kleinwagen Platz haben, die zuvor in einer riskanten Ladeaktion mit zwei Holzbohlen auf das Schiffsdeck manövriert worden sind. Der Briefverkehr vieler Hippies wird postlagernd per „Lista de Correos“ abgewickelt. Am Kai des Hafens von Ibiza geht es gemächlich zu. Das Stadtbild entspricht einer verschlafenen Hafenstadt. Als die „Joven Dolores“ wenig später altersschwach im Mittelmeer versinkt, wartet am Kai des Hafens von Ibiza schon die nächste leistungsfähigere Fährschiff-Generation. In der Anfangsphase der Erschließung neuer Ziele für Pauschalreisen hat der Tourismuskonzern des Dressurreiters und Versandhändlers Neckermann auch zwei Hotels auf der Insel Formentera errichtet, deren Entsalzungsanlagen mehr oder weniger gut funktionieren. Immerhin ist die touristische Nachfrage aber groß genug, um den Neuankömmlingen aus der Hippieszene, welche sich hier niederlassen, die Möglichkeit zu geben, mit allerlei selbstproduzierten Souvenirs, die sie an die Touristen verkaufen, ihren Lebensunterhalt zu sichern. Das Angebot reicht von selbstgemalten Aquarellen und Zeichnungen mit mediterranen Motiven bis zu handgefertigten Ledergürteln und selbstbemalten T-Shirts und Anhängern u. a. Mit dem „Peace“-Zeichen der Hippie-Bewegung. Selbst die deutsche Rockröhre Nina Hagen überbrückt ihre zeitweilig schlechte finanzielle Lage mit von ihr und ihren Kindern eigenhändig bemalten T-Shirts, die sie im Hippie-Markt von San Jordi auf Ibiza feil bietet. Die Grund-nahrungsmittel sind im Vergleich zu den Heimatländern der Aussteiger besonders billig und ermöglichen einen Lebensstil, der den Bedürfnissen eines relativ anspruchslosen Daseins entspricht. Aufgrund der geografischen Lage ist auch ein weiterer Aspekt für die Hippie-Generation von äußerstem Interesse. Formentera liegt nicht weit von Marokko entfernt, von wo u. a. der grüne Marokko, eine einheimische Haschichsorte, ohne große Schwierigkeiten nach Formentera geschmuggelt werden kann. Weil das Inselchen mit zwei kleinen Dörfern eine geringe Einwohnerzahl hat, sind die Steuereinnahmen bescheiden, so dass auch die polizeiliche Präsenz gering ist. Ideale Bedingungen also für eine alternative Szene, die von den Einflüssen der amerikanischen Subkultur des Stadtteils Sausalito auf der anderen Seite der Golden Gate Bridge am Pazifischen Ozean Golf von San Francisco geprägt ist. Doch schon bald fängt der Nachkriegstourismus an, den Kinderschuhen zu entwachsen. Die großen Reiseveranstalter beginnen damit, sich die mediterranen Urlaubsziele komplett zu erschließen. Hier erwarten die Touristen erst einmal viel Sonne, niedrige Preise und noch mehr Freiräume. Damit lässt sich Geld verdienen. Zwar erscheinen die großen Tourismusunternehmen wie TUI anonym. Dahinter aber stehen finanzkräftige Eigentümer wie die drei großen deutschen Banken. Auch das später aufgelöste gewerkschaftseigene Touristikunternehmen „gut“ ist bemüht, sich ein Stück von diesem profitablen Reisemarktkuchen abzuschneiden. Noch früher als die deutschen Touristikunternehmen haben allerdings die englischen Veranstalter Ibiza und Formentera für sich entdeckt. Da Ibiza über relativ wenige und kleine Strände verfügt und die Engländer wenig Zeit und Geld in den Urlaub investieren können, entwickeln die englischen Veranstalter Kurzurlauberkonzepte mit formaler Unterbringung in einer Massenunterkunft, die nur auf dem Ticket existiert. Das Gesetz in Spanien verbietet den Verkauf von Pauschalreisen ohne Übernachtungsquartier. D. h., das vornehmlich jugendliche Publikum wird in engen Sitzreihen am Freitagabend nach Ibiza geflogen und begibt sich sofort in die Diskotheken, um den Rest der Nacht „durch zu tanzen“ und zu feiern. Der Alkohol fließt in Strömen. Am Morgen dann, wenn die Diskotheken schließen, wird tagsüber der Rausch an irgendeinem nahegelegenen Strand verschlafen, bis abends dann wieder die Techno-Paläste öffnen. Am Tag darauf bringt die englische Fluggesellschaft „Britannia“ die Kurzurlauber wieder nach Hause. Natürlich gibt es auf den Balearen auch kein Nachtflugverbot. Ibiza, die größere der beiden Pitiusen-Inseln südlich von Mallorca, ist ein exemplarisches Beispiel dafür, wie durch die Globalisierung im 21. Jahrhundert Lebensräume, Kulturen und Naturregionen vorsätzlich zerstört werden, um den Geschäftsleuten und Reichen die Möglichkeit zu geben, rücksichtslos von all dem Besitz zu ergreifen, was ihren Konsumbedürfnissen entspricht. Der spanische „Don“ hat nach wie vor wegen seines Wohlstandes einen unangefochtenen Status und bestimmt die Politik. Auf der Iberischen Halbinsel hält in den 60er Jahren sogar noch der Zug auf offener Strecke, wenn ein Großgrundbesitzer mit seinem Pferd in Begleitung seines „Sancho Pansa“ an den Gleisen darauf wartet, mitgenommen zu werden. Wer redet da von Pünktlichkeit. Hier spielen Macht, Geld und der gesellschaftliche Status die wichtigste Rolle. An diesem gesellschaftlichen Gesamtbild hat sich auch trotz des Spanischen Bürgerkrieges nichts geändert. Die Beschleunigung, welche diese Entwicklung in den 90er Jahren erfährt und ab dem Jahr 2000 weiter an Fahrt aufnimmt, macht deutlich, welche verheerenden Folgen dieser Vorgang hat, der sich nur an rein kommerziellen Interessen orientiert. Die astronomischen Summen, die dazu erforderlich sind, werden von den Lokalpolitikern im Auftrag der reichen Interessenten z. T. auch aus den Vermögen der Einheimischen generiert. Die öffentliche Hand der Balearen ist auf Jahrzehnte hochverschuldet. Die neuen Urlaubsparadiese fallen den Akteuren des Kapitals zu Schnäppchenpreisen in die Hände. Es wird mit Arbeitsplätzenin den Hotels gelockt, doch bleibt den einheimischen Putzfrauen und Kellnern wenig von dem erwirtschafteten Gewinn. Auf den touristischen Souvenirmärkten der Insel haben die Künstler von Ibiza in den ersten Jahren des Tourismusbooms die Möglichkeit, mit ihren oft wunderschönen kunsthandwerklichen Produkten ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Mit der Globalisierung des Kunsthandwerk- und Souvenirgeschäftes bricht diese Existenzquelle unvermittelt ab. Clevere Geschäftemacher und „Althippies“ reisen in Dritteweltländer, kaufen dort Unmengen billige exotisch anmutende Souvenirs aus Massenproduktion, mit denen sie die Preise der ibizenkischen Künstler unterwandern. Auf den Reisen in die Aschrams hatten die Althippies Gelegenheit, sich eine entsprechende Logistik aufzubauen bzw. Kontakte zu knüpfen. Auch wenn Ibiza draufsteht, stammen die Kitsch-Produkte häufig auch aus der VR China, Thailand, Vietnam und dem indischen Vielvölkerstaat. Den Touristen ist es letztendlich egal, was sie kaufen. Hauptsache, es sieht exotisch aus und wird als Urlaubssouvenir identifiziert. Da in den Hotels die Heizungen fehlen und die Strände zu klein sind, gibt es auf Ibiza und Formentera im Gegensatz zu Mallorca keinen Wintertourismus, so dass den einheimischen Männern nichts anderes übrig bleibt, als im Winter auf dem Bau zu arbeiten. Dadurch wird ein Teufelskreis in Gang gesetzt, der die Zersiedlung dieses Naturparadieses beschleunigt. Die intensive Bautätigkeit führt dazu, dass auf der einst wasserreichen Insel der Grundwasserspiegel stetig sinkt und die Brunnen versiegen. Im Zuge des Klimawandels haben die Bauern mit zunehmender Trockenheit zu kämpfen. Die Waldbrandgefahr nimmt zu. Dieses Problem ist umso größer, als man auf den Balearen keine Forstwirtschaft kennt, die sich der Waldpflege widmet. In den modernen Autos der Rent-a-Car-Verleiher gibt es keine Aschenbecher mehr, was dazu führt, dass die Leihwagenmieter ihre Zigarettenkippen aus dem Fenster werfen oder auch mit heißem Katalysator ihre Fahrzeuge am Strand im trockenen Gras parken. Dadurch werden schwer kontrollierbare Brände ausgelöst, die oft nur aus der Luft gelöscht werden können. Dazu müssen die Löschhubschrauber und Flugzeuge das Salzwasser aus dem Mittelmeer aufnehmen. Erde und Natur werden auf Jahre geschädigt. Natürlich fehlt auch das Geld, um die Waldgebiete wieder aufzuforsten.Die Diskotheken liegen an der inzwischen zu einer vierspurigen Autobahn ausgebauten Straße von Ibiza-Stadt nach San Antonio. In der vom Tourismus am meisten entstellten Stadt erwirtschaften die Techno-Paläste heute pro Nacht mehr als 10 Mio. Gewinn. Da können sich die Besitzer der oftmals überfüllten Diskotheken die Hände reiben. Aber wehe, wenn in den Hightech-Hallen mal durch einen Kurzschluss ein Brand ausbricht… – Als zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein Teil der einheimischen „Ibizenkos“ zusammen mit den zugezogenen ausländischen Residenten gegen den massiven Ausbau der Verkehrswege auf die Straße gehen, sind die politischen Entscheidungen längst gefallen und die Zerstörung der alten Infrastrukturen beschlossene Sache, die keinen Aufschub duldet. Das Bild der kleinen Städte auf Ibiza verändert sich in beängstigender Geschwindigkeit. Es geht jetzt nur noch darum, dass die Diskothekenbesucher schnellstmöglich vom Flughafen Ibiza in die Tanzsäle geshuttelt werden. Der überdimensionierte Straßenbau zersiedelt ganze Landstriche. Auch dadurch nimmt die Verschuldung der vier Provinzen auf Ibiza zu. Noch Generationen später werden wir die Zinsen für diesen Ausbau zahlen müssen, der die örtlichen Straßenbaufirmeneigner reich macht. Kleinbauern, die ihr Land rechts und links der überdimensionierten Autobahn bewirtschaftet haben, können froh sein, dass ihnen ihr Besitztum vergoldet wird. Der individuelle Verkehr nimmt zu. Beherrschen in den 60er Jahren noch Renaults R4, R5 oder die Citroen-Ente die Straßen, so sind es heute Hummer, Jeep und SUVs von Mercedes, BMW und Audi. Aus dem spanischen SEAT Ibiza, produziert von der Tochter des VW-Konzerns, im Fiat-Panda-Look wird ein smartes Kompaktklasse-Automobil. Auf den Balearen wird hinsichtlich der Infrastrukturmaßnahmen umgesetzt, was dem Interesse des inzwischen größten europäischen Reiseveranstalters TUI dient. Die Urlaubszentren auf der Iberischen Halbinsel und Mallorca sind zu Betonwüsten geworden. Jetzt beginnt der Ausverkauf von Ibiza und Formentera. Große Familienclans, welche die Zeichen der Zeit früh erkannt haben und von Barcelona und Katalonien nach Ibiza gezogen sind, haben die ibizenkischen Kleinbauern, die vor dem Zweiten Weltkrieg noch mit Eselskarren z.B. aus dem Norden in die Hauptstadt Eivissa gefahren sind, übervorteilt und überrumpelt. Stirbt der Patron findet sich sofort einer aus dem Kreis der einflussreichen Politiker, welcher der Witwe bei der „Verwertung“ des Nachlasses hilfreich unter die Arme greift. Einer der Drahtzieher in diesem Geschäft ist der Rechtsanwalt Abel Matutes, der als Vertreter der PP zum Bürgermeister von Ibiza Stadt und später zum Inselpräsident gewählt wird. Höhepunkt seiner Karriere ist seine Berufung als Außenminister unter der Regierung des späteren POP-Präsidenten Aznar. Damals kauft Abel Matutes im Auftrag des Sektenführers Aga Khan große Landgebiete auf, heute gehört auf der Insel Ibiza der Matutes-Gruppe so ziemnlich alles, was Geld bringt. Angefangen von der größten Diskothek über Hotelketten, bis hin zu den Fährlinien. Auch die Baustoff- und Asphaltgewinnung ist fest in der Hand der Matutes-Gruppe. Mit der Berufung zum Außenminister muß er allerdings seine Bank „Abel Matutes“ abgeben. Seinem Einflus tut es keinen Abbruch. Seine Tochter Stella Matutes ist zeitweilig auch Ministerin für Finanzen und Verkehr der Regierung von Ibiza. Die am besten für den Tourismus geeigneten Lagen wechseln unverzüglich die Besitzer. Das können in diesem Fall reiche Sektenführer sein, Rechtsanwälte, Bürgermeister und einflussreiche Politiker. Deren Vermögen wird dann in eigene Privatbanken, Hotelketten, Schifffahrtsunternehmen, Immobilienfirmen und Diskotheken investiert. Völlig ungeniert lassen Milliardäre auf Containerschiffen aus der Karibik ihre Yachten nach Ibiza bringen. Der reichste russische Oligarch kauft das riesige Schiff des Leibarztes des in Saudi-Arabien regierenden mächtigsten Scheichs mit Hubschrauber-Landeplatz und einer Crew aus ehemaligen Fremdenlegionären. Jetzt fühlen sich Oligarchen und Milliardäre auf den Balearen zu Hause. Aus Sicherheitsgründen jedoch verbringen sie die meiste Zeit auf ihren Luxusyachten. Der Inselpräsident von der Partida Popular erklärt seine Politik zynisch damit, dass natürlich bei den Reichen mehr Geld zu holen ist, als bei den Armen. Wie wenig davon den Ibizenkos bleibt, steht auf einem anderen Blatt. Die arbeitende Bevölkerung ist darauf angewiesen, ihr Geld in der Zeit von Mitte Juni bis Mitte September zu verdienen – als Dienstleister der Touristen im Bereich Gastronomie, Service und Logistik. Der einst verträumte, kleine Flughafen von Ibiza ist zu einer kolossalen Drehscheibe ausgebaut worden. Begründet wird das mit den militärischen Anforderungen, die aus der NATO-Mitgliedschaft resultieren und keinen Widerspruch dulden. Vor der Insel Formentera ankern heute Speedboote, Nobelsegler und Yachten der Milliardäre. Die Preise auf der kleinen Insel sind so rasant gestiegen, dass an ein Hippiedasein längst nicht mehr zu denken ist. Am Kai von Ibiza liegen jetzt mehrere große Katamaran-Fähren, die innerhalb einer halben bis Stunde große Mengen von Autos und Touristen zur „kleinen Schwester“ transportieren können. Ob Ibiza oder Formentera, der Drogenkonsum und -schmuggel greift zunehmend um sich, und auch die ausländischen Ärzte, welche die Balearen inzwischen für sich als lockere Einnahmequelle entdeckt haben, können im Winter gut von dem Leben, was sie im Sommer mit der Behandlung von Drogentouristen und wohlhabenden Senioren aus anderen Ländern Europas verdient haben, welche die Balearen als Altersruhesitz wählen. Das ist das Konzept für das „Neue Ibiza“ für das 21. Jahrhundert: Auf dem Flughafen parken die Privatjets der DJs, die nachts in den großen Diskotheken mit Honoraren bis € 250.000 pro Nachtauflegen. Am Rande des Flughafens liegt gleich die erste Diskothek. Es zählt ausschließlich der mehr oder weniger monotone Beat und sonst nichts. Hier wird einer von zwei Hotelblöcken, die bereits in den 60er Jahren gebaut wurden, zu einer Diskothek mit Hotel umfunktioniert und einem All-Inclusive-Service zum Übernachtungspreis von bis zu 2.000 Euro pro Nacht. Auf dem Schwarzmarkt und auch an den Stränden werden die Aufputschmittel ungeniert feil geboten, mit denen dann die Nacht zum Tage gemacht wird. Für die Shows in den Techno-Hallen zeigen Frauen für kleines Geld ihre großen Brüste. Pornoshows und Schaumkanonen heizen die Stimmung an. Auch mit den jungen männlichen Flüchtlingen, die aus Afrika oft auf gefahrvoller Reise hier gestrandet sind, läßt sich als Go-Go-Dancer gutes Geld verdienen. Nach der Devise, jetzt habt euch mal nicht so, am Strand zieht ihr euch doch auch aus. Edelprostitution als neue Form der physischen und psychischen Ausbeutung aller Beteiligten ist der große Renner und breitet sich epidemieartig aus. Mit „Inflagranti“ wirbt ein Luxusbordell auf Großflächenplakaten. Auf Mallorca und Ibiza werden Unsummen für Hochzeitszeremoniells ausgegeben. Auch ein inzwischen abgelöster Pfarrer der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde auf den Balearen ist sich nicht zu schade, mit seinem Talar auf der Tourismusmesse in Berlin Reklame für die großen Hochzeitsagenturen zu machen, die ganz groß im Geschäft sind. Schließlich geht es nicht darum, existenzielle Not Einzelner zu lindern und Seelsorge walten zu lassen bei denen, die mit ihrem sauer Ersparten zum Opfer von Betrügern aus der alten Heimat geworden sind. Natürlich geht es auch nicht darum gesellschaftliche Fehlentwicklungen zu hinterfragen. Hier heißt es ganz oben mitschwimmen als Fettauge auf den Wellen der Strände von „El Arenal“ und anderswo, um pünktlich zur Stelle zu sein, wenn man für das kommerzielle Hochzeitsgeschäft gebraucht wird. Die Büfetts des Sterne-Catering-Service und einer Flasche „Vina Tinto“ für 340 Euro protzen mit allem, was Meer, Metzger und Medienzauber zu bieten haben. Alles wird auf professionellen digitalen Videokameras für die Nachwelt und den vermeintlichen Bund fürs Leben festgehalten. Da helfen große Worte wenig. Da fällt die geistige Speise des Pastors oder Priesters eher ärmlich aus. Aus immer mehr kleinen Fincas der Bauern werden pompöse Architekturpaläste nach dem Motto „Look at me“. Vor diesem Hintergrund sind die Pseudo-„Safari- Tours“ mit alten Nissan-Pajeros durch das Naturschutzgebiet im Norden von Ibiza nur noch als touristische Attraktivität für „Arme“ zu betrachten. Es geht darum, auch den Kurzurlaubern so viel Geld wie möglich aus der Tasche zu ziehen, das ja im Urlaub bekanntlich leichter ausgegeben wird. Die großen Diskotheken und Outlets protzen mit kostenlosen Hochglanzmagazinen, die zeigen, dass es hier um Millionen geht. Zelebriert wird ein zügelloser Konsumrausch als Inbegriff dessen, was das „wirkliche Leben“ ausmacht. Das „Neue Ibiza“ ist natürlich auch einer der großen Konsum- und Drogenumschlagsplätze in Europa. Wenn man berücksichtigt, dass täglich ca. drei Milliarden Drogen- und Schwarzgelder um den Erdball kreisen, deren Herkunft verschleiert werden muss, dann kann man nachvollziehen, dass die Schnittmenge der Grauzone zwischen Weiß- und Schwarzgeld immer größer wird. Dieses internationale Business hat natürlich längst auch Europa und die Bundesrepublik Deutschland erreicht. Aus Gründen der Inkompetenz und Ignoranz der Politiker können sogar die mexikanischen Drogenkartelle in der Bundesrepublik Deutschland ungehindert ihrem Geldwäsche-Geschäft nachgehen. Wird ein solcher Politiker amtsmüde oder abgewählt, winkt ihm unter Umständen ein weitaus besserer und ruhigerer Job im Europäischen Parlament oder sogar als EU-Kommissar. Fünf-Sterne-Plus-Hotels schießen inzwischenauch auf Ibiza überall wie Pilze aus dem Boden. Für die ausländischen Normalverbraucher sind sogar die deutschen Großdiscounter rechtzeitig zur Stelle. In spätestens drei Jahren wird auch der unromantische, aber trotzdem atmosphärisch lebendige „Mercado Nuevo“ im Stadtkern von Ibiza einem Neubau der großen internationalen Großmarktketten gewichen sein. In der Stadt San Antonio ist dieses neue Logistik- und Versorgungskonzept längst Wirklichkeit geworden. Dann wird sich auch die Familie, welche jahrzehntelang in Ibiza-Stadt im „Mercado Nuevo“ eine der kleinen Bars betrieben und die kleinen Händler des Marktes bewirtet hat, sehen müssen, wie sie ihre Existenz bestreiten will. Inzwischen ist die kleine Bar “Sa Plaça” einem neuen Konzept gewichen, heißt jetzt “Sa nueva Plaça“. Die traditionellen Tapas sucht man jetzt vergeblich auf der Karte, dafür aber ist das Preisniveau der Bar deutlich gestiegen. Nichts wird bleiben, von dem, was einmal das Leben, den Zauber und den Reiz der Pitiusen ausgemacht hat. Die Hochglanz-broschüren der Urlaubermagazine promoten ein „Neues Ibiza“, in dem es nur noch um das ganz große Geld geht. In dem das Leben nur eine einzige riesige Party ist, bei der alles käuflich ist und nur die Summen verschieden sind.
„Alles verändert sich“, sagt ein Lokalpolitiker. „Das ist nun mal nicht zu ändern.“

Copyright by Michael Kirmes-Seitz
VIDEOGEDICHTE VON MICHAEL KIRMES-SEITZ, Bild, Text, Musik; Sprecherin: Astrid Bransky
Gedichtband von Michael Kirmes-Seitz und dem Gedicht BESUCH AUF IBIZA deutsch/spanisch
BESUCH AUF IBIZA
Zuerst fürchteten sich allem vor dem Blick auf das Meer, aber dann war die Angst vor der Gefahr doch größer. Die heilige Maria vom Schnee hat mit ihren Litaneien das Eis schmelzen lassen und die Höhlen unter ihren Schutz gestellt. Es ist bis heute nicht geklärt, wann der Jäger zum Gejagten, und der Gejagte zum Jäger wird.
Wer nichts mehr zu verlieren hat, ist ständig auf der Suche nach dem rettenden Ufer. Es gibt noch Küsten, deren Bäume zu schwach sind, um schwere Lasten zu tragen; Strich an Strich pendelt ihr Grün gelassen in der Sonne. Immer wieder treibt ihr Duft die Grillen zum Äußersten. Die Pflanzen lassen sich von den Gärtnern keine Vorschriften machen. Sie umschlingen die Tempel fremder Wünsche fest entschlossen, ihre Beute nicht mehr preiszugeben. Ein zerfasertes Stück Schnur, dessen gekrümmte Haltung nichts Gutes ahnen lässt, schlängelt sich vielsagend zwischen verdorrten Gräsern. Neue Gefahren verbergen sich weit draußen unter tintigen Wellen. Wie feudale Herrscher lassen Eindringlinge die Berggipfel abtragen. Die geheimen Orte, von denen aus die Männer mit ihren kleinen Booten sich dem Wind ausliefern, sind nur mit bloßen Füßen auf verschlungenen Pfaden zu erreichen. Ein falscher Tritt genügt, um neugierige Blicke auf sich zu lenken. Die steinernen Male sind kein Platz für blauäugige Träumer. Sie haben zu viel gesehen, als dass sie Gefühlen gegenüber gleichgültig wären. Ein Halbgott kauft sich seine Welt und entwirft einen Himmel aus Beton und Glas. Die Pläne für eine Machtübernahme seiner Jünger werden vorzeitig bekannt. Was aus den riesigen Städten angetrieben wird, verliert sich im Geröll. Wer mit dem Schlimmsten rechnet, ist durch nichts zu bewegen, sein Versteck ohne freies Geleit zu verlassen. Bäume sind schnell gefällt, und die blühenden Felder in kürzester Zeit eingeebnet. Eine gewisse Ratlosigkeit macht sich breit im Netz noch Fetzen einer Vorahnung. Wer ist schon stark genug, sich angesichts der Verlockungen seinen Schwächen nicht zu ergeben. Bis sich dann die Kolonne von Verirrten einen neuen Pfad getrampelt hat. Sind die Hindernisse überwunden, gibt es kein Halten mehr. Der Stein katapultiert sich aus der Schlinge, der dunkle Saum wird zum Regenbogen. Die Wolken überbringen keine Botschaft. Weil die geheimnisvollen Zeichnungen der Sandwürmer nur schwer zu dechiffrieren sind, beulen sich Muschelschalen in den Taschen gieriger Strandläufer. Der Wind will von Versprechungen nichts wissen. Tief unten in Meer versammeln sich die Fische, um die Habe der Freibeuter unter sich aufzuteilen. Sie sind nicht bereit, die Herrschaft der Meere abzugeben. Zwischen den Jahrtausenden hat der Seeteufel riesige Paläste gebaut; von den Türmen und Zinne aus hält er Ausschau nach einer schönen Braut. Die Zackenbarsche lassen sich nicht aus der Ruhe bringen; der Taucher beweint ihre Sorglosigkeit. Das Licht lässt sich nicht blenden und befragt die Schatten nach Schein und Sein. Die Felsenbilder vermissen die Langmut der Eremiten; mit ihrer geheimnisvollen Stille wollen sie neue Geister beschwören. Die Fledermäuse genießen die Ruhe vor dem Sturm. Im Schutz der Dunkelheit nehmen sie sich alle Freiheiten, weil sie wissen, dass der Griff nach den Sterne nur wenigen vorbehalten bleibt. Der Bauer überlässt seine Arbeit den Feldern. Im Stillen beneidet er die Unerbittlichkeit der Gräser. Die Osterglocke kann noch so golden leuchten; sie wird ihre Fremdheit niemals ablegen können. Auf der Spurensuche nach der blauen Eidechse taucht zwischen den Opuntien eine versunkene Stadt auf. Auf dem Holz gestrandeter Schiffe haben Vögel ihre Nester gebaut. Die Sonnenstrahlen lassen sich von den Signalen der Wachtürme nicht beeindrucken. Sie brennen ihre Zeichen unerbittlich in die Felder. Die unbeugsame Haltung der steilen Wände will kein Moment von Schwäche aufkommen lassen. Die ständige Auseinandersetzungen mit dem Meer formt immer neue Zitadellen. Möwen grasen auf den Weideflächen. Die Sträucher wollen keine Bilder mehr malen. Fesseln verändern ihre Gestalt wie das Chamäleon seine Färbung, nicht bereit ihre Umklammerung zu lösen. Urteile sind vorläufig und in ihrer Unvollstreckbarkeit treffen sie die Richter. Immer neue Versuchungen verbergen sich hinter der gleichen Maske.

VISITA A IBIZA
Primero todos temían la mirada al mar pero luego el temor ante el peligro fue más fuerte. La Santa Maria de los Nieves con sus letanuas hizo que se derritiesen las nieves y que se protegiesen las cuevas. Hasta hoy no está claro cuando ocurre que el cazador sea el perseguido o bien el perseguido sea el cazador. Él que ya no tiene nada que perder continuamente busca la orilla que le ponga a salvo. Existen costas donde los árboles son demasiado débiles como para llevar cargas. Aqui y allá, como si fuesen péndulos se presentan verdes tranquilos en el sol. Una y otra vez, su aroma incita a los grillos al paroxismo. Los plantas no dejan que los jardineros les den órdenes. Se adhieren a un templo de deceos ajenos decididos a no sacrificar jamás su presa. Un trozo de cuerda destrilachada su postura torcida por no hacer sespechar nada bueno serpentea elecuente entre las hierbas secas. Hay nueves peligros que se esconden, profundos debajo de olas de tinta. Como monarcas feudales los intrusos dejan que se aplanen las cimas. Los lugares secretos donde los hombres en sus pequeños botes se entregan al viento sólo los alcanzan los que, descalzos siguen caminos enredados. Un paso equivocado basta para llamar la atención de miradas curiosas. Los signos de piedra ya no son para soñadores ingenuos. Han visto demasiado para seguir indifirentes a los sentimientos. Un semidiós compra su propo mundo y crea un cielo de hormigón y christal. Los planes de conquista del poder se dan a conocer anticipadamente a los discipulos. Los que llegan de las grandes ciudades se pierden entre los escombros. A quien cuenta con lo peor nada puede inducirle a dejar su escondite libremente sin escolta. Los árboles caen de prisa y los floridos campos pronto se aplanan. Se siente cierta perplejidad todavia cuelgan de la red flecos de una premonicion. Quien será tan fuerte para no resignarse a sus propias debilidades a pesar de las tentaciones. Hasta que la columna de los extraviados hayan pateado un nuevo camino. Una vez vencidos los obstáculos nadie consigue contenerse. La catapulta suelta la piedra del lazo el doblaladillo oscuro se transforma en arco iris. Las nubes no traen ningún mensaje. Como es dificil descifrar los misteriosos dibujos de los gusanos en la arena, se van hinchando los válvulas de los mejillones en los carrillos de las mejillones becadas. El viento no quiere oír de promesas. En las profundidades del mar se reunen los peces para repartise los botines de los piratas. No están dispuestos a renunciar al domino de los mares. Durante miles de años el rape ha construido enormes palacios; desde las torres y los frisos él espera a una novia hermosa. Las percas no se dejan perturbar el buceador llora por lo despreocupadas que son. La luz se deja deslumbrar y pregunta a las sombras por la que parece y por lo que es. Los dibujos de las rocas echan de menos la paciencia de los eremitas con su quietud misteriosa quieren conjurar nuevos espiritus. Los morciélagos gozan de la calma antes de la tempestad. En el refugio de la oscuridad todos hacen lo que quieren porque saben que alcanzar la luna es cosa de pocos. El campesino entrega su trabajo al campo. Él envidia en silencio a las hierbas inexorables. Por más que brillen los narcisos nunca podran dejar de sentirse extraños. En los rastros de la lagartija azul surge entre los herbajos una ciudad engullida. Sobre los maderos de barcos encallados han construido los pájaros sus nidos. Los rayos de sol no se dejan impresionar por las señales de las tores de vigilancia. Marcan a fuego sus signos inexorables en los campos. La postura inflexible de las paredes inclinadas no permite ningún momento e debilidad. La lucha continua con el mar crea siempre nuevas ciudadelas. Las gaviotas pacen en los pastos. Los arbustos ya no quieren dibujar más. Las cadenas modifican su aspecto como el camaléon su coloración no están dispuestes a despegarse de ella. Los juicios son provisionales y por falta de ejecución alcanzan a los jueces. Siempre nuevas tentaciones se esconden detrás de la misma máscara.

Michael Kirmers-Seitz, span. Übersetzung: Rika Humphreys
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EIN SPANISCHES ERBE

Das Volk nannte sie Carmen Color, Frau des Generals der Generäle, weil sie es so bunt trieb in ihren farbigen Seiden-Gewändern. Stille Post: „Schließt im August Eure Schmuck- und Antiquitätenläden in A Corunia, wenn die Herrin kommt oder wollt ihr lieber ins Gefängnis, wenn es an´s bezahlen geht? Kennt ihr ihren Beichtvater vom Stamme des Don Bosco mit den durchdringenden Augen und einem Lächeln so schief wie seine Kirche? Der alles weiß und jeden kennt und auch die Gottlosen mit vollem Namen. Der Landsitz des Franco in Ferrol, düster und unheimlich. Eigentum des galizischen Volkes, aber bis heute fest in der Hand der Heiligen Familie. M.K-S

Zwei CDs: Ausstellung „Frauen in der Luftfahrt“ und
Ausschnitt im n-tv Reisefeature „Dallas“ 1998
REVIEW-REVION-RÜCKBLICK!MICHAEL HEINDORFF (ROYAL COLLEGE OF ART) LONDON, MALER, CHELSEA ARTS CLUB, UNITED KINGDOM, MICHAEL KIRMES-SEITZ, DICHTER DER STILLE, KURATOR, AUSSTELLUNG, AIRPORT GALLERY ONE, ANNO 2000 #REVIEW-RÜCKBLICK-REVISION
MICHAEL HEINDORFF:
SgH Kirmes-Seitz! Sie sind ja ein Poet!!! Ich finde Ihren Text ‚Ticket to London‘ sehr spannend und wahr. So sehr gut kommt, wie London an den Sinnen zerrt. Ich habe den Eindruck, als seien Sie mit einem Segelflieger in London gewesen, gleitend, dichterische offen…“. Ihr Michael Heindorff
SPIEGELBILD
Gedichtzyklus von Michael Kirmes-Seitz mit Zeichnungen von Herrmann Krauth

(Ausschnitt)

BILDFOLGE

Der Maler gibt der Leinwand eine Stimme;
die Farben bekommen es schwarz auf weiß;
nichts bleibt, wie es ist. Alles ist Anfang.

Die Farben schöpfen aus dem
Weiß der Gischt, aus dem Grau, der Asche
aus dem Schwarz der Lava.

Der Malgrund ist eine Herausforderung;
der erste Pinselstrich stellt sich als Provokation dar.

Weil sich nichts wiederholen lässt
gibt die Erinnerung wenig aufschluss
über die gründe, die zu neuer Erkenntnis führen.

Auch aus dem Kanon der Pinselstriche
lässt sich so ohne weiteres keine Botschaft herleiten.

Deutung und Bedeutung: Was war zuerst da?
Die Bühne oder der Rahmen der Darsteller
oder die Geschichte
die Eingebung oder die
schöpferische Kraft.

Aus der Wahrnehmung folgt nicht zwangsläufig
der Streit um das was ist.
Die Phantasie nährt die Zweifel an der auseinandersetzung
um das, was kommt.

Die Staffelei bildet einen Brückenkopf
ohne Halt zu bieten oder Rückzugsmöglichkeiten.
Sie lockt mit der einen Bewegung
mit der sich der Himmel preisgibt.

Die wände warten auf eine neue Botschaft;
sie sind es gewohnt Diener zu sein;
sie harren der Neuigkeiten, die da kommen und sind bereit
ihre eigenen Wünsche zurückzustellen.

Keine Mauer stürzt ein, ohne sich vorher
über den Anlass vergewissert zu haben.

Ausbrechen und erstarren
festhalten und entfesseln
ohne Rücksicht auf das Ergebnis.

Auf einer Brücke stehen und die Bilder in sich aufnehmen
rechts und links teilen sich die Senkrechten und brechen auf.
Dort, wo sich neue ebenen gebildet haben
erschliesst sich Neuland.

Die gedanken steuern durch eine Untiefe
verlieren sich, um sich frei zu machen
halten fest, um sich zu lösen.

.Michael Kirmes-Seitz


Gedichte auf Bilder von Michael Kirmes-Seitz mit Cartoons von MOSH, Brooklyn-NYC

Fortsetzung unter: Instagram/siestawritersclub und #michael_kirmes_seitz

DIGITAL-ART-GRAFIKEN VON MICHAEL KIRMES-SEITZ AUF INSTAGRAM UNTER: #michael_kirmes_seitz SOWIE #siestawritersclub

Libretto und Songs: Michael Kirmes-Seitz; Musikalische Begleitung: Monkey Orchids; Ausstattung und Regie: Astrid Bransky Das Musical gibt einen kleinen Einblick in die Geschichte der Pionierinnen der Luftfahrt von Melli Beese, geboren in Dresden-Laubegast, über Käthchen Paulus, der Erfinderin des Fallschirms bis hin zu Betsy Coleman, der ersten schwarzen Flugpionierin und anderen.

PRESSE-ZITAT AUS „DNN“ – Dresdner Neue Nachrichten:
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10.000 BESUCHER BEIM DRESDNER ELBEFEST DER WGJ
…die Künstlergruppe „Bundschuh 13“ begeisterte ihr Publikum mit der Uraufführung des „Melli Beese Poeticals“, das die Geschichte der in Laubegast geborenen Luftfahrtpionierin Melli Beese erzählt…

MELLI-BEESE-POETICAL AUCH AUF
„YOUTUBE“!

Gedichtzyklus mit Schwarz-Weiß Digital-Art-Illustrationen von Michael Kirmes-Seitz

ZUSAMMENARBEIT MIT ZHANG LI-GUO, Prof. für Malerei der XINGHUA-Universität BEIJING, Gedichte auf Bilder von Zhang Liguo

Zyklus „Gedichte auf Bilder“, Prof. ZHANG Liguo und Michael Kirmes-Seitz,
Tuschzeichnung und Gedicht zur Fußballweltmeisterschaft 2006
Ausstellungseröffnung der großen Retrospektive anläßlich des
dritten Todestages von Prof. ZHANG LIGUO
im NAMOG, dem Nationalen Kunstmuseum Beijing

SECOND LINE in memoriam Prof. Zhang Liguo

Die Energie der Stille und die Dynamik des Swing. Zwischen Lu Xun und Zhang Liguo, zwischen Bach und dem Blues liegen Welten, die sichso nahe sind wie noch nie. Es gibt nur ein Vermächtnis: Solidarität in allen Farben. Trauer tanzenin sich gekehrt und außer sich sein über den Verlust. Der Revolution ihre besten Bilder malen. Das kann kein Abschied sein, weil die Werke bleiben und ihren Weg finden von den Leinwänden in die Köpfe. Wen die Heiligen in ihre Mitte nehmen, der geht niemals verloren.

Michael Kirmes-Seitz

NEUE BILDER

Neugier spornt an
selbst wenn keiner
der Erste sein will.
Niemand möchte
etwas versäumen.

Ungesagtes läßt sich
mit Händen greifen.
Unvorstellbares
durch nichts aufhalten.

Wasser orientiert sich
in seinem Fließen
an dem Widerstand
der Felsen.
Im Faltenwurf
offenbart sich
die Unerbittlichkeit
eines zähen Ringens.

Die Zärtlichkeit
des steten Tropfens
gegen die Endlichkeit
einer Umarmung.

Wenn die schwebende Hand
erst einmal
damit begonnen hat
sich ein Bild zu machen
gibt es kein zurück mehr.

Ein falsches Wort
läßt sich
genauso wenig wegdenken
wie ein falscher
Ausdruck.

Michael Kirmes-Seitz

„SILBERSTREIF IN DER GRAUZONE“ Gedichtzyklus von Michael Kirmes-Seitz mit Zeichnungen von Rainer Wieczorek, Berlin

Mit Digital-Art-Illstrationen des Autors

Video-CDs mit Gedicht: „Absicht und Zufall“, „Besuch bei Ceramica Terracavat in San Miguel/Ibiza“, „Wasser-Farben“, „London-Nights“, „Saigon mon amour“, Gedichtband „Himmel voller Steine“ und Bibiliophile Ausgabe mit Gedichtzyklus sowie Video-CD „Der 5. Drache“

Doppel-CD

EINLADUNG ZUM GERMANISTEN- UND DEUTSCHLEHRERKONGRESS IN DER UNIVERSITÄT VON COIMBATORE/INDIEN vom 8.-24. Januar 2008

Die Reise fängt schon gut an. Als wir nämlich gerade das Haus von Astrids Eltern verlassen haben und uns samt Rollkoffern auf den Weg zur U-Bahn-Station machen, spüre ich bei einem kurzen Husten eine leichte Veränderung in meiner Mundhöhle. Ich halte kurz inne und fühle mit der Zunge eine Zahnlücke. Sollte tatsächlich bei diesem kurzen Husten ein Zahn versucht haben, mir untreu zu werden? Er hat! Vor mir zwischen Splittsteinen, die der Winterdienst wegen der Glatteisgefahr gestreut hat, liegt die Krone meines rechten Eckzahnes. Ich bücke mich, immerhin erfreut, dass ich ihn wenigstens auf frischer Tat ertappt habe, und gebe ihn Astrid, die verspricht, das Zahnstück an einem sicheren Platz aufzubewahren. Später erfahre ich dann von ihr, dass es ihre Hosentasche ist. Wir setzen unseren Weg zur Haltestelle fort und Astrid versucht zugleich eine Hilfsaktion zu organisieren. Per Handy werden alle in Frage kommenden Personen, die möglicherweise in der Lage wären herauszufinden, bei welchem Zwischenstopp an welchem Flughafen auf unserer Anreise nach Coimbatore in Südindien sich dieser Schaden beheben ließe. Wir erreichen den Flughafen Berlin-Schönefeld, wo sich bereit eine unübersichtliche Zahl von Osteuropäern versammelt hat, die anscheinend wie wir, alle nach London wollen.
Nach dem sehr drastischen und anschaulichen Bericht eines jungen Mannes über seinen Besuch in Bombay im August 2007, den wir im Internet gefunden haben, sind wir vorgewarnt. Er hat seinen Beitrag mit der dringenden Bitte versehen, seine Zeilen unbedingt zu lesen, bevor man sich auf eine Reise nach Indien macht, und er hat gut daran getan. Wir wissen jetzt also, unsere Einladung zum 6. Kongress des indischen Germanisten- und Deutschlehrerverbandes wird keine Landpartie. Obwohl ich schon weit herumgekommen bin, habe ich von der indischen Fluggesellschaft „Jet Airways“ noch nie gehört. Kein Wunder, denn in Europa fliegt sie nur Brüssel und London an. Trotzdem sind Astrid und ich angenehm überrascht. Soweit man das als viel fliegender Laie beurteilen kann, macht alles einen guten Eindruck und der Service ist sehr gut, was ja während eines so langen Fluges wichtig ist. Wir können uns jeweils in einer Sitzreihe ausstrecken und schlafen, fast so, wie in der Business-Class. In Bombay angekommen, müssen wir unser Gepäck wegen der Zollformalitäten zum Weiterflug nach Coimbatore eigenhändig zur Gepäckabfertigung
bringen. Wir machen erstmals Erfahrung mit den Organisationsstrukturen vor Ort. Soll man es chaotisch nennen oder schlampig. Beide Begriffe treffen den Sachverhalt nur unvollständig. Nehmen wir einfach die Vokabel, welche uns während unserer Reise noch öfter begegnen wird, sagen wir einfach „indisch“. Nach Übergabe unseres gemeinsamen Koffers an den Gepäckservice des Flughafens rechnen wir eigentlich nicht damit, ihn jemals wieder zu sehen. Wir hatten Glück, andere hatten es nicht.
In Coimbatore werden wir von Dr. Natarajan, dem Organisator des Kongresses und seiner Assistentin abgeholt. Der Taxifahrer, dessen Fahrzeug wir auf Anweisung besteigen, darf uns nicht fahren, unser Gastgeber hat sich nicht an die Reihenfolge gehalten. Also, wieder aussteigen. Das ist nicht schlecht, denn das neue Taxi ist etwas geräumiger. Wir sind im Gästehaus der Universität untergebracht. Es erwartet uns ein riesiges Zimmer mit Nebenräumen. Ein kleiner Palast also. Und wie es sich für einen solchen gehört, wird uns auch ein freundlicher Bediensteter zugeteilt, der uns Tag und Nacht bewacht.
Eine weitere Referentin, gebürtig in Jena und nun als Fremdsprachenlehrerin in Singapur tätig, reist mit ihrem indischen Freund an, ist aber von der Lokalität keineswegs so angetan wie wir und verlangt nach einem Hotelzimmer im Stadtzentrum. Ob ihre Kritik an der Sauberkeit ihres Bades gerechtfertigt war, können wir nicht feststellen. Nach eigener Aussage jedoch, war ihr in jedem Falle daran gelegen, näher am Stadtzentrum zu sein, da die Universität sich am Stadtrand befindet.
Das Frühstück am ersten Morgen ist eine Zeremonie. Zunächst einmal weckt uns unserer Betreuer per Klingel mit zwei Tassen indischem Morgentee mit Milch und Zucker. Schmeckt sehr gut. Nachdem wir uns soweit landfein gemacht haben, marschieren sieben livrierte junge Männer in militärischer Formation in der Lobby des Gästehauses auf und präsentieren uns das Frühstück. Wir kommen uns vor wie ehem. englische Kolonialherren, und die Situation ist uns etwas unangenehm. Dieses Defilee wiederholt sich jeden Morgen. Als wir dann allerdings erfahren, dass dies gleichzeitig eine praktische Übung für Gastronomie-Studenten darstellt, sind wir dann doch beruhigt. Das Zeugnis, das wir den Studenten und ihrem Betreuer bei unserer Abreise ausstellen ist dann auch entsprechend voller Lob. Bei der Eröffnungsveranstaltung zur Konferenz lernen wir dann, neben den Honoratioren der Universität auch die weiteren Referenten kennen.
Angereist ist ein gewisser Ewart Reder aus Mainthal bei Hanau, der sich vor dem Leiter des Kongresses damit brüstet, vier verschiedene Namen zu benutzen. So erfahren wir dann auch, dass sein Ticket auf einen anderen Namen ausgestellt war, als den, mit dem er sich als Autor vorstellt. Wir freuen uns aber, darüber hinaus den indischen Schriftsteller Anant Kumar kennen zu lernen, der in Kassel lebt und auf Deutsch schreibt. Sein lebendiger Schreibstil spiegelt sich auch in seiner Lesung wieder. Er liest sehr engagiert und temperamentvoll. Seine meisten Sachen kann er fast auswendig, im Gegensatz zu mir. Die Abende nach der Konferenz verbringen wir jeweils im romantischen Garten eines feudalen Clubs, „Cherry-Club“ genannt. Nicht vergessen werden darf die Universitätsveranstaltung am ersten Abend, bei der Studentinnen und Studenten der Universität und des Kongresses eindrucksvolle Tänze aus den verschiedenen indischen Provinzen präsentieren. Die Selbstdarstellung der kreativen Fachbereiche der Universität ist eine farbenfrohe und gekonnte Show in einer Mischung aus zum Teil traditionellen und modern-westlichen Elementen. Das Gleiche gilt auch für die Musik. Besonders berührt hat uns die Tatsache, dass jede Veranstaltung, ob Kongress oder Show mit einem gesungenen hinduistischen Gebet eingeleitet wird. Die Tänzerinnen und Tänzer haben die Choreographien selbst entwickelt und zeigen ihr Programm in nahezu perfekt professioneller Umsetzung. Einer der Höhepunkte ist das deutsche Volkslied „Es, es, es und es, es ist ein harter Schluss, weil, weil, weil und weil, weil ich aus Frankfurt muss“, das von drei Teilnehmerinnen der Tagung gesungen wird. Das studentische Auditorium tobt. Von diesem indischen Temperament werden wir während unseres Indienaufenthalten noch weitere Kostproben erhalten, zum Beispiel als wir mit dem Bus unterwegs sind, der sich zeitweise in eine „Rollende Bollywood-Diskothek“ verwandelt – doch davon später. Am folgenden Abend stellen Astrid und ich als zusätzlichen Beitrag Ausschnitte aus unserem Kabarettprogramm „Ich bin inter-nett und böse auf Bestellung“ sowie drei der bekannten Eheszenen von Loriot vor. Wir ernten viel Applaus und erfahren bei dieser Gelegenheit auch, dass diese Kunstform in Indien völlig unbekannt ist. Auch für Dr. Natarajan, den Leiter des Kongresses, ist es eine neue Erfahrung. Astrid verausgabt sich bei unserer Aufführung so sehr, dass sie sich beim Abgang von dem niedrigen Bühnenpodest stürzt und sich den Fuß verstaucht. Sie lässt sich aber nicht davon abbringen, trotz großer Schmerzen das weitere Programm „durchzustehen“. Nachdem das zweite Appartement in unserem Gästehaus zwei Tage leer gestanden hat, triff der Wiener Germanist und Literaturkritiker Helmut Gollner ein. Er hat keine Probleme mit der Ausstattung und bleibt bis zur Abreise unser Nachbarn.
Er ist es auch, der zum Abschluss des Kongresses die Moderation meiner Lesung übernimmt, was mich natürlich besonders ehrt. Da die Deutschkenntnisse der Studenten unterschiedlich sind, aber alle Englisch als erste Fremdsprache in der Schule haben, bin ich froh, dass es drei meiner Gedichte auch in englischer Übersetzung gibt. Ich selbst lese die englischen Texte, während Astrid meine deutschen Originale vorträgt. Zwischen Astrid und den Studentinnen ist im Verlauf des täglichen Zusammenseins ein intensiver Gedankenaustausch entstanden. Astrid lässt es sich nicht nehmen, den Mädchen nicht nur deutsche Lieder, sondern auch Couplés des Berliner Kabarettisten Otto Reuter vorzusingen. Dieser Austausch wird auch während der anschließenden Reise im Minibus fortgesetzt. Doch die Bezeichnung Minibus ist nur eine schwache, unzureichende Bezeichnung für diese fahrbare Designkuriosum indischer Prägung. Das Gefährt ist innen mit einem in die Jahre gekommenen Teppichboden ausgekleidet, dessen Musterung nur mit der Umschreibung „indisch“ charakterisiert werden kann. Über den 22 Sitzplätzen sind rechts und links unter der Gepäckablage bunte Lampen angebracht, die wild zu blinken beginnen, wenn der Fahrer die beliebtesten Lieder der indischen Hitparade auflegt. Dann beginnt unser Gefährt zu kochen und zu rocken, weil die Studentinnen und Studenten tanzend durch den Bus toben. Dagegen hat natürlich auch Otto Reuter am Ende keine Chance mehr. Indisch ist dabei vor allen Dingen auch, dass dies während der rasanten Fahrt bei offener Fahrgasttür geschieht, auf deren Stufen mindestens noch eine Person mit rockt. Habe ich rasante Fahrt geschrieben? Denn was in Indien diesbezüglich im Verkehr passiert, ist an Wildheit und Rücksichtslosigkeit nicht zu übertreffen. Angeschnallt ist im Minibus ohnehin niemand, weil es gar keine Sicherheitsgurte gibt. Für einen indischen Fahrer, auch die Busfahrer fahren barfuß, was in Deutschland ohnehin verboten und außerdem nicht ungefährlich sein kann, ist ein entgegenkommendes Fahrzeug noch längst kein Grund, nicht zu überholen. Was für das hinter dem entgegenkommenden Fahrzeug fahrende Auto, LKW oder Bus ebenso gilt. Warten ist ohnehin nicht indisch. Auf diese Art und Weise entstehen Verkehrssituationen, bei denen nicht nur die Person am Steuer, sondern auch die hinter dem Fahrer sitzende Person, die wie ich, das alles mit ansehen muss, gute Nerven braucht. Inder sind in der Regel kleiner und schlanker, was sich auch in der Sitzbankgröße der Minibusse niederschlägt. So schön der Ausflug in die Blauen Berge zu den Teeplantagen im Anschluss an die Konferenz auch sind, so unbequem sind sie auch. Nicht nur mir, sondern auch Astrid tut nach einem Tag dann auch die eigene Sitzfläche weh. So traumhaft reich und üppig die indischen Teeplantagen auch sind, die Inder selbst haben nichts davon. In die kilometerweiten riesigen Anbaugebiete teilen sich vier Teegesellschaften der ehemaligen Kolonialherren. Die Bewohner dürfen stattdessen im Akkord für einen beschämenden Niedriglohn die unterschiedlichen Qualitäten pflücken. Zudem gibt es strenge Regularien für den privaten Verkauf von Tee. Jeder darf monatlich nur dreißig Kilo verkaufen. Das klingt viel, wenn man nicht weiß, dass pro Kilo nicht mehr als hundert Rupien, d.h. nicht einmal zwei Euro, zu erzielen sind.
So reich die Natur in Indien, so arm ist der größte Teil der Bevölkerung. In Bombay leben mehr als 60 Prozent der Bevölkerung in Slums. Auch wenn, ich anderswo in der Welt schon sehr viel Armut gesehen habe, so groß wie in Indien war das Elend bisher nirgendwo. Der aktuellen Statistik ist zu entnehmen, dass die Säuglingssterblichkeit in Indien fast doppelt so hoch ist, wie in den ärmsten Ländern Afrikas. In Indien zeigt sich auf schonungslose Art und Weise, dass die Globalisierung die Fortsetzung der Kolonialisierung auf höherer Ebene darstellt. Auch die Reichen werden ihres Wohlstandes nicht recht froh, liegen ihre Villen und Paläste doch meist neben den Slumhütten ihrer Dienerschaft. Polizei ist auf den öffentlichen Straßen bestenfalls einmal zur völlig unkoordinierten Verkehrsregelung eingesetzt. Der Eingang zum Gefängnis von Coimbatore steht mehr oder weniger offen, und die Gefangenen führen ein für indische Verhältnisse privilegiertes Leben.
Auch wenn die Kriminalität für fremde Augen nicht ohne weiteres erkennbar ist, so werden wir doch für alle Fälle immer bewacht. Selbst im Gästehaus des Hotels, schläft unser Helfer jede Nacht auf dem Sofa vor unserer Tür. Die hygienischen Verhältnisse in Indien spotten jeder Beschreibung, die Kanalisation ist in den kleineren Städten völlig offen und in den Großstädten in jedem Falle unzureichend. Je größer die Stadt, um so unerträglicher der Gestank und die Moskitos. Demzufolge fange ich mir in einem Landhotel auch einen Floh ein, so dass uns nichts anderes übrig bleibt, den größten Teil unserer Wäsche zu waschen. Unsere, aber vor allen Dingen Astrids mühsame Waschaktion hat Erfolg. Auf dem Lande wird in der Regel beim Essen statt eines Tellers ein großes Bananenblatt gereicht, dass man aber zuerst noch mit Flaschenwasser abspülen muss. Gegessen wird mit den Fingern. Wir bekommen ab und an noch ein Esswerkzeug gereicht. An Stelle von Glas oder Porzellan verwendet man für Gefäße und Vorlegteller Aluminium. Auch das ist nicht sehr einladend. Es gelingt uns aber, durch sorgfältig Auswahl der Speisen und der strikten Beschränkung auf abgepacktes Mineralwasser einer Durchfallerkrankung zu entgehen. Nach Kongress und Ausflügen gelingt es uns tatsächlich, uns in der Hafenstadt Cochi in der Provinz Kerala ein wenig zu erholen. Noch abends im Dunkeln finden wir auf gut Glück ein für indische Verhältnisse luxuriöses Hotel mit einer Zimmersuite, einer schönen Aussicht und einigermaßen sauber, wenn auch der Moskitoanteil in der Hafenstadt mit den vielen stehenden Gewässern noch höher ist als sonst. Das Hotel hat sogar ein schönes, sauberes Schwimmbad. Der Ausflug ans Meer ist kein sonderliches Vergnügen, weil die wenigen Frauen am Strand von Trauben von Indern umlagert werden. Wir testen mit den Füßen das Wasser des arabischen Meeres und staunen, wie warm es ist. In Cochi nutzen wir auch die Gelegenheit, eine Ayurveda-Kur zu machen. Nach einer mühsamen Fahrt durch Slumviertel finden wir das sehr schön gelegene und liebevoll gepflegte Hospital.
Nach all den wiedersprüchlichen Eindrücken sind wir froh, dass unsere Reise dem Ende zu geht. Auch der verdreckte Flughafen von Bombay, bei dem die Slums bis an die Flughafenmauern ragen, macht uns den Abschied nicht schwer. An den Stacheldrahtrollen über den Mauern trocknen die Slumbewohner ihre Wäsche.
Unser Entschluss steht fest: Wir werden die Menschen, die wir kennengelernt haben entsprechend unseren Möglichkeiten unterstützen, noch einmal nach Indien zurückkehren werden wir trotz der Einladungen sicher nicht.


Copyright by Michael Kirmes-Seitz

Farbige Digital-Art-Grafiken von Michael Kirmes-Seitz zum Gedicht-Zyklus:
DER FÜNFTE DRACHE

SCHRIFTBILDER
Vieles, was uns verzaubert, kommt von weit her, nicht bewacht von einer Eskorte aus Fleisch und Blut, sondern aus Erde und Wasser.
Es soll Rätsel geben, die ungelöst bleiben, weil ihre Erzähler zu klug waren, um die Schlüssel aufzuheben.
Der Wert der Tinte misst sich nicht allein am Ausdruck der Hand und der Dichte der Beschreibungen, sondern auch an dem Papier auf welches sie aufgetragen wird.
Vielleicht ist es in den Sternen zu lesen, aus welcher Richtung
sie strahlen, doch am Ende war es Sache der Seeleleute, die kein Land mehr sahen.
Die Scherben, die gebrannt wurden, um damit den Dingen auf den
Grund zu kommen, sind aus ein und demselben Boden.
Wenn alles aus der Asche erwächst, besteht die Möglichkeit, dass alles in alle Winde verstreut wird.
Die Welt ist klein und wenn es sein muss, passt sie in ein hohle Hand.
Je schneller die Bilder wechseln, um so bedeutsamer werden Zeichen.
Es soll vorkommen, dass der Besitzer der Wasserstelle leer ausgeht.
In den Gärten werden Konferenzen abgehalten.
Rede und Gegenrede werden von Strassenlärm geschluckt dazwischen Käferlatein.
Es soll zu einer Einigung kommen, und der Zweifler ist mit seinen weit ausholenden Bewegungen der ruhende Pol. Ein anderer versucht, mit der schwebenden Hand die Wege der Drachen zu lenken, die ständig auf der Suche sind nach dem großen Feuerschlucker. Der Hüter der Quelle streut Salz in die Steinwunden. Die Rinnsale sind unbelehrbar; sie wollen die Behutsamkeit steigern bis zur Ekstase.

Eine Stadt unter Beobachtung und im schönsten Gebäude residieren Gaukler. Wo gibt es denn so etwas:
Das Museum protzt mit einem ausrangierten Unterseeboot. Für einen Dollar Eintritt kann man das
Ende nahen sehen. Irgendwo wird ein Blinder über die Straße geführt; ein Kind erhält eine Ohrfeige
ohne ersichtlichen Grund; ein Vertrag wird unterzeichnet, bei dem ein Stadtteil sein Leben lässt.
Zettel ohne Preise locken Diebe. Nichts ist Vorsehung, das versteinerte Herz ist auf Sand gebaut.
Erstes Kennenlernen in nur wenigen Worten. Über Sprachlosigkeit höflich hinweg sehen.
Ein ungewohntes Bild. Frauen tragen Schwarz mit fein gestickten Gitterstrümpfen. Männer tragen Ketten um die Hüften. Es herrscht die Ruhe vor dem Spuk. Dann kommen Eindringlinge, die an leeren Tischen Platz nehmen. Die freundliche Geste zeigt dem Kellner die kalte Schulter. Dann noch ein Foto
und zwei Flaschen zum Mitnehmen. Es hätte schlimmer kommen können. Ein Modell nagt an einem Biskuit. Mit dem letzten Krümel wird Gleichgültigkeit hinweg gefegt. Im Zeitraffer: Die Puppen in dem
Schaufenster sind von gleich schlanker Figur. Sie spreizen graziös die Finger und tragen Taschen lässig auf die Hüfte gestützt. Mal mit Seide behängt dann wieder mit bunten Tüchern. Die Männer würdigen sie keines Blickes. Frauen legen die Hand aufs Herz. Wenn die Arbeiter mit müdem Blick vorüber taumeln, ist der Tag gelaufen. Schritte hämmern ihre Losung auf das Pflaster. Sehen und gesehen werden. Die Getränkekarte verspricht anderen Ortes exotisches und gute Luft. Der Spaziergang führt
an Bunkern vorbei, die auch den Frieden überdauern werden. Man trägt die Gläser über den Augen.
Bilder schärfen den Verstand. Geteilter Meinung sein, weil Schweigen einsam macht. Buchstaben schnitzen und an Äußerungen feilen. Verständliches macht sich auf den Irrweg. Die wichtigen Antworten
des Lebens suchen bei einem Glas Wein. So war es schon immer, und deshalb soll es auch so bleiben
und alles ungelöst. Nichts duldet Aufschub. Mond du kommst nie zu früh, wenn es darum geht, die Wärme zu bescheinen und die Liebe blühen zu lassen. Dein Untergang wird als etwas Alltägliches genommen. Wer die Tage zählt, sollte sie flugs in eine andere Richtung schicken.Und wem die Ruhe
heilig ist, dem kann auch dein mildes Licht keine Erleuchtung bringen. Eine neue Route planen. Keinen Einfluss haben auf den Kurs, Zuschauer und zufrieden sein, keinen Rat geben zu müssen. Was müssen die von uns denken, die klüger sind als wir. Ein funkelndes Kleinod ist eingehüllt in gefaltetes Papier.
Funken, denen der Blick kaum folgen kann. Der Zug ist abgefahren, doch das Feuer hat den Schienenstrang lahm gelegt. Ziellos im Minutentakt. Lichtjahre vergehen, ein Schaukelpferd wartet auf Kundschaft. Hinter der Fensterscheibe streiten Außerirdische um die Vorherrschaft im Universum.
Die Milchstraße unter den Füßen fühlt sich anwie Kopfsteinpflaster. Es ist alles nur ein Spiel sagen die einen. wenn es ern st wird, ist es nochfrüh genug erklären andere. Was wird, wenn zwei Fraktale
deckungsgleich sind. Das Unlesbare steht in den Sternen. Saitenblick: Mag es an den frühen Liedern liegen, an der inneren Stimme oder dem, was im Ohr widerhallt. Fantasien, nicht aus Fleisch und Blut,
sondern aus Plüsch und Seidentuch. Die Ungleichung zieht einen Strich, weil die Umwege der schnellsten Verbindung immer ein Stück voraus sind. Neue Eindrücke schwelgen in einem See
von Farben. Die Augen fächern einen Regenbogen auf. Spurensuche in einem Blütenteppich. Hände brechen das Glücksbrot. Teilhaben, um zu teilen, annehmen, um abzugeben neue Kraft schöpfen
aus fremder Hilfe. Entfliehen aus des Rätsels Lösung und in den Flittertag. Eine Stadt als Bilderbuch
ein Marktplatz ohne Gedrängemit einem Brunnen voller Wünsche. An der Stadtmauer kauert eine Pieta.
Blumen sprengen Eisengitter. Der Schankwirt weist jede plumpe Vertraulichkeit zurück. Wer sich in einem Labyrinth von Grün verirrt, hat gut lachen. Sind die Erwartungen hochgesteckt,. bleibt dem Ziel
kein Ausweg. Berührungen verhindern eine Kontaktaufnahme. Ein Trugbild nach dem andern löst sich
in Wohlgefallen auf. Es finden sich Spuren von Ungesagtem an Gläsern, Zigarettenstummeln und Taschentüchern Wie soll einer aus einem Horoskop schlau werden, wenn die Einfälle ausbleiben.
Die Geometrie der Kartenhäuser ist dem Überschwang der Gefühle nicht gewachsen. Voraussehen, ohne auf Verschwiegenes zurückgreifen zu müssen. Die schnelle Sprache häuft Wortfetzen auf.
In einem Berg von Worten versteckt sich Zwiesprache. Buntes findet reißenden Absatz, weil die Kurzweil
immer neue Forderungen anmeldet. Wenn das Dunkel zu locken beginnt, lässt sich sogar
der Himmel täuschen. Auch wenn die Koordinaten an eine Reise ohne Wiederkehr erinnern, bleiben die Schattenfänger nicht lange unter sich. An Feiertagen entfalten die Trommeln ihre ganze Pracht. Friedfertigkeit als Bedrohung, Lebensfreude als Mutprobe. Ein Lichtkegel erweckt Neugier, die Jury ist unschlüssig, der Programmschreiber stellt sich auf einen Hinterhalt ein. Einzelschicksale werden
zu einem Pixnetz verwoben, auf dem sich Gleichgültigkeit breit macht. Der oberste Griffelspitzer hakt ungerührt die Ablasszettel ab. Auf einer Bühne werden Pirouetten gedreht. Solange der Beifall tobt
brauchen die Aufpasser sich nicht ins Zeug zu legen. Zwischen Buchseiten haben sich Merkzettel versteckt. Wie Kobolde entwickeln sie ein Eigenleben. Ihr Übermut hat etwas Ansteckendes.
Wenn das Papier die Geduld verliert, entfachen sie ein Freudenfeuer nach dem andern. Schon lange
bevor die Köche die Tafel freigeben, bekämpfen sich die Heißhungrigen mit Messer und Gabel.
Bleiben die Tische leer stellt sich die Frage wer für den Verlust gerade steht .Am Tag der Rückkehr
Neuland entdecken. Der Wunsch nach Verbrüderung mit dem Unbekannten wächst. Die Windsirene holt
tief Luft und lässt die Wogen zum Angriff blasen. Es geht alles gut, wenn man mit allem rechnet.
Wenn man mit allem rechnet, ist für das Gute zu wenig Platz.
Copyright:
Michael Kirmes-Seitz
In Memoriam Jürgen Wölbing

Gedichtzyklus von Michael Kirmes-Seitz mit Digital-Art-Illustrationen des Autors
Bühnenfassung: „Das dritte Ohr aus zweiter Hand“,
uraufgeführt im „Kabarett SinnFlut“ Weimar 2010